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Ein Gespräch mit dem Wuppertaler Komponisten Thomas Beimel

anläßlich der Uraufführung seiner Kammeroper Idyllen
am Theater Mönchengladbach



Von Meike Nordmeyer, Wuppertal
November 1999

Potrait Beimel

Thomas Beimel
Foto von Matthias Stute



OMM: Herr Beimel, ich möchte gerne mit Ihnen über Ihr neustes Werk sprechen, über die Kammeroper Idyllen, die ja jetzt gerade in Mönchengladbach ihre Uraufführung erlebte (siehe unsere Rezension). Ihrer Oper liegt eine klassische Vorlage zugrunde. Sie wählten jedoch nicht einen Text des großen Jubilars Goethe, sondern mit Jean Paul wenden Sie sich einem Klassiker zu, der im Schatten der großen deutschen Dichterikonen Schiller und Goethe steht, allerdings heute mehr als damals. Warum haben Sie Jean Paul gewählt, wie stießen Sie auf den Autor?

Beimel: Eigentlich war ich auf der Suche nach einem Sujet für ein Marionettentheater mit Musik. Ich bin also in ein Antiquariat gegangen und habe dort dieses Buch Leben Fibels, der Verfasser der Bienrodischen Fibel von Jean Paul gefunden. Jean Paul, das ist ein Autor, der mich schon lange interessiert. Ich kannte den Roman überhaupt nicht, er gehört ja nicht zu den Großen. Ich fing an zu lesen und dachte gleich: das ist Opernstoff, das darf ich mir nicht entgehen lassen.

OMM: Die Entdeckung des Stoffes war also mehr oder weniger Zufall, gleichwohl es da schon länger bei Ihnen ein Interesse am Autor gab, das dann aktiviert wurde.

Beimel: Genau. Ich finde, daß im Gegensatz zu den beiden großen Kultfiguren Goethe und Schiller Jean Paul der zeitgemäße Autor für uns ist. Und mich hat der Roman auch überzeugt wegen der ihm inhärenten Aktualität.

OMM: Damit kommen Sie auf meine nächste Frage: Was interessiert Sie an dem Roman so besonders? Worin sehen Sie die Aktualität des Stoffes?

Beimel: Zunächst ist dieser Roman eine ganz einfache, kleine Geschichte. Jean Paul hat meine große Sympathie, weil er praktisch als einer der ersten ganz einfache Personen in den Mittelpunkt seiner Romane stellt. Das sind Leute, die eigentlich nach dem Literaturverständnis mindestens der damaligen Zeit bis weit in dieses Jahrhundert hinein nicht Wert gewesen wären, überhaupt Worte über sie zu verlieren. Die sind natürlich auch alle ein bißchen verschroben und schrullig, aber Jean Paul betrachtete sie alle extrem liebevoll, er macht sich nie lächerlich über eine Person. Das ist eine Sache, die mir grundsätzlich sehr sympathisch ist. Was mich begeistert hat an diesem Roman ist: Es ist eine ganz einfache Geschichte, eine kleine Person, die mit sehr viel Sympathie dargestellt wird.

OMM: Daher bekam ihre Oper auch den Titel Idyllen.

Beimel: Genau. Ja, die Idylle, das hat Jean Paul mehrfach betont auch in der Vorschule der Ästhetik, sei ja "das Glück in der Beschränkung". Und ich glaube auch das ist ein sehr moderner Zug. Es reden zwar alle von der Globalisierung, aber jeder Mensch ist doch ein dörflich strukturiertes Wesen. Jeder kann nur einige Menschen kennen und mit einigen Menschen persönlichen Kontakt haben.

OMM: Und das bleibt auch so, meinen Sie?

Beimel: Das wird immer so bleiben, denn das gehört einfach zur Bedingtheit des Menschen.
Jetzt aber zu den abstrakten Themen in diesem Roman, die mich total begeistert haben, und ich finde, die sind sehr aktuell. Zum einen findet sich dort der Aspekt der Virtualität, das Wort im modernen Sinne verstanden. Heute ist das Wort eigentlich ein Synonym für pure Fiktion. Die Biographie des Fibel, die das Buch erzählt, ist ja eine fiktive Biographie, und der Vorgang der Erzeugung dieser Fiktion wird auch selbst spielerisch thematisiert von Jean Paul. Außerdem gibt es da im Zusammenhang mit dem Thema Biographie schreiben und verbreiten noch das Moment der Multiplikation, die ja heute im Zeitalter der Reproduzierbarkeit ein ganz wichtiger Punkt ist. Nämlich nicht nur, daß man etwas im Fernsehen an die Öffentlichkeit bringt, sondern auch eine Person vervielfältigt. Hier hat man das Thema des Clons schon Anfang des 19. Jahrhundert. Und dann als Drittes, - und darin finde ich den Text auch sehr modern, und er weist damit auf große Theaterfiguren dieses Jahrhundert wie Samuel Beckett - daß alle Personen dieses Romans zwar in der selben physikalischen Zeit leben, aber vollkommen aneinander vorbei leben.
Was mich außerdem sehr fasziniert an den Texten von Jean Paul, ist die besondere Art der Erzählstruktur. Man kann bei ihm direkt den Prozeß der Entstehung einer Figur beobachten. Dann reichen ihm die Figuren nicht aus, sie werden aufgeteilt in verschiedene Aspekte, also im Grunde zeigen sich hier erzählerische Strukturen, die es seit Virginia Woolf und James Joyce erst in der breiter wahrgenommenen Literatur gibt.

OMM: In ihrem Libretto ist es ja auch so, daß der Autor Jean Paul selber auftritt, und zwar in zwei Personen aufgeteilt. Im Grunde ist es eine Oper über Jean Paul.

Beimel: Richtig. Der Librettist und ich, wir wollten gerne eine adäquate musiktheatralische Fassung machen. Wir kamen sehr schnell auf die Idee, die ganzen Personen des Romans beiseite zu schieben, und den Roman zu nehmen, wie er sich als moderne Erzählstruktur darstellt. D.h., wir haben einen Autor, der sich selber ständig in den Vordergrund stellt. Und dann dachten wir: nun gut, dann kann man ihn auch selber auf die Bühne bringen und kamen auf die Idee ihn aufzuteilen. Das ist ja auch ein Verfahren, das häufiger vorkommt, spätestens ab deutscher Romantik.

OMM: Ich denke da auch an Brecht, z.B. Brecht / Weill: Die sieben Todsünden, da gibt es Anna 1 und Anna 2.

Beimel: Ganz genau.

OMM: Sie sprachen gerade von der Erarbeitung des Librettos. Wie nah sind Sie an dem Wortlaut der Vorlage geblieben?

Beimel: Es war es mein Wunsch, daß nur der O-Ton Jean Paul vorkommt. Das hatte auch einen ganz bestimmten Grund, und da kommen wir an einen Punkt, den ich persönlich für sehr interessant halte. Ich finde, daß man nicht sagen kann, daß besonders die literarischen Texte aus diesem Jahrhundert eine frische Sprache haben. Es scheint sich vielmehr dann etwas zu konservieren, auch in der deutschen Sprache, wenn ein Moment da war von Freude an einem neuen Umgang mit Sprache. Es hat mich im Vorfeld beispielsweise die Entdeckung von Barock-Gedichten begeistert, weil die fast ungehobelt waren in der deutschen Sprache, die eben als Hochsprache noch relativ neu war. Und so ist es auch bei Jean Paul. Ich finde, daß die Sprache etwas sehr Frisches hat - und das wollte ich unbedingt beibehalten.

OMM: Sie bringen auch einen Text von Wieland mit ein und verwenden damit noch einen weiteren vergessenen Klassiker.

Beimel: Ja, den haben wir dann noch dazu genommen. Wieland ist eigentlich der Klassiker, was z.B. erotische Literatur angeht; darin ist er viel köstlicher als Goethe und andere. Und das ist auch ein Punkt, der mich sehr verwundert gemacht hat: Warum sind wichtige Klassiker wie Wieland, Jean Paul, ebenso große Barockdichter wie von Lohenstein irgendwie vollkommen ins Abseits geraten, und warum wird gerade Goethe immer wieder ausgegraben, der meiner Meinung nach doch wesentlich überschätzt wird. Literarisch gesehen - für die heutige Zeit finde ich ihn bei weiten nicht so interessant wie einige andere.

OMM: Ich habe mal recherchiert. Nach meinen Ergebnissen ist ihre Oper die erste zu einer Vorlage von Jean Paul.

Beimel: Davon ist die Dramaturgie auch ausgegangen, ebenso der Librettist und ich. Uns war gar nichts bekannt. Als ich aber mit dem Kultursekretatiat NRW sprach, sagte man mir, daß just in diesem Moment eine Kinderoper zur selben Vorlage fertig geworden ist. Die ist in der letzten Spielzeit am Thalia Theater in Halle uraufgeführt worden: Sie heißt Fibels Traum und ist von Ekkhart Koltermann. Das finde ich eine sehr interessante Koinzidenz: daß es gar keine Jean Paul-Oper gibt und plötzlich zu einem ganz entlegenem Roman zwei gleichzeitig.

OMM: Das spricht auch für den Roman. Jetzt haben Sie und ihr Kollege Koltermann Jean Paul endlich zur Opernwürde gebracht.
Jetzt wollte ich noch mal zur Besetzung ihrer Oper kommen. Sie haben eine ungewöhnliche, aber eben höchst wirkungsvolle Besetzung gewählt: Eine Tuba und ein Streichquartett. Beeindruckt hat die Vielfalt, die Sie aus dieser kleinen Besetzung herausgeholt haben. Der Tubist und die Streicher gehen nicht nur über die konventionelle Tonerzeugung an ihren Instrumenten weit hinaus, sondern sie haben auch rhythmisch zu sprechen, sie stoßen verschiedenste Laute hervor und bedienen einige Percussions. Das ergibt ein anderes Bild der Instrumentalisten, sie sind alle quasi mehrfach besetzt...

Beimel: Zur Besetzung selber, die hat sich eigentlich recht schnell ergeben. Ich bin ja von Haus aus selber Streicher, ausgebildet als Bratscher, kenne mich demzufolge mit Streichinstrumenten ganz gut aus. Streichquartett hat mir gut gefallen, weil es einerseits genug farbliche Möglichkeiten gibt, genug Klangfundamente auch. Und es geht ja im Grunde schon um eine vorromantische Vorlage, und Streichquartett ist die Gattung, die von der Ausrichtung her für Innerlichkeit, für lyrische Momente steht. Die Tuba war schnell dabei, weil es natürlich ein Vorlage ist, die in der Provinz spielt, und mir gefiel dieser Geruch nach Blasmusik sehr gut. Ich kannte auch diesen phantastischen Tubisten aus Köln, mit ihm habe ich im Vorfeld gearbeitet, um Möglichkeiten zu erforschen.
Als Komponist arbeite ich ja noch nicht so lange, aber ich habe festgestellt, für mich ist es sehr wichtig, mit möglichst vielen Begrenzungen im Kopf zu arbeiten und es mir insofern, ich will nicht sagen, schwer zu machen, aber mit Grenzen zu arbeiten. Also mit wenigen Musikern, und dann einfach zu versuchen, alles was möglich ist auszuschöpfen. Da kommt natürlich auch meine Praxis als ausübender Musiker hinein. Ich bin ja seit 10 Jahren im Ensemble für improvisierte Musik, das ich mit befreundeten Musikerinnen gegründet habe, das Partita Radicale. Und da sind wir auch schon bei sehr vielen Auftritten ins Szenische gegangen, haben wir auch Sprache eingebracht. Das ist eben eine Sache, die mich grundsätzlich stört im westeuropäischen Kulturbetrieb, daß die Dinge sehr institutionalisiert und abgezirkelt sind. Mir macht es dagegen Spaß, die Sachen etwas lebendiger zu machen, indem man eben auch die Rollenklischees etwas sprengt.

OMM: Können Sie sich auch vorstellen eine große Oper zu erarbeiten?

Beimel: Ich sag es gleich: Musiktheater macht mir großen Spaß! Man muß sagen, ich bin auch nicht von ungefähr zur Oper gekommen. Eine meiner langjährigsten musikalischen Freundinnen ist die belgische Komponistin Jacquelin Fontyn, die schon seit Ewigkeiten ein Sujet sucht. Und meine Lehrerin Myriam Marbé aus Bukarest, mit der ich aufs engste befreundet war. Sie war gerade dabei, ihre erste Oper zu konzipieren. Sie ist aber, bevor Sie mit dem eigentlichen Kompositionsprozeß begonnen hatte, ganz plötzlich verstorben. Ich glaube, diese Verbindungen öffneten mir den Blick für musiktheatralische Möglichkeiten. Mir würde sehr Vieles Spaß machen. Die meisten Sachen sind als Idee, als Vision schon da, aber noch nicht so weit, daß ich sie gerne an die Öffentlichkeit geben würde - mit der Ausnahme eines sehr komischen musikdramatischen Werkes, das ich hoffentlich bald machen werde. Und zwar über ein sehr spätes Gedicht von Mao Tse-tung für Percussion-Quartett und Peking-Oper-Darsteller.

OMM: Ich komme jetzt zu der Frage nach den wichtigsten Einflüssen, die Sie geprägt haben. Wer sind ihre Vorbilder, von welchen Komponisten oder speziell Kompositionen haben Sie entscheidende Anregungen erfahren?

Beimel: Es ist sehr sehr schwierig, einzelne Sachen da herauszubenennen. In der zeitgenössischen Musik gibt es sehr viele Sachen, die ich schätze. Ich fang da mal mit dem Bekanntesten an: Henze gefällt mir sehr gut, auch gerade, weil er ästhetisch sehr unirritiert war in den Wirren nach 45. Ich mag die Sinnlichkeit z.B. von Torotake Mitsu.
Aber die sind für mich persönlich letztlich nicht so entscheidend gewesen, vielmehr die, mit denen ich persönlich Kontakt habe, wie die Komponistin Jacquelin Fontyn, die sehr stark in französischen und postimpressionistischen Traditionen steht. Mich hat sehr stark beeinflußt die gesamte rumänische ältere Komponistengeneration, insbesondere meine Lehrerin Myriam Marbé. Um jetzt aber nicht nur ganz allgemein zu sprechen, was mich direkt zu dieser Oper inspiriert hat, da muß ich unbedingt eine Oper eines jetzt auch verstorbenen Freundes nennen: Anatol Vieru. Die Oper heißt Jona, ist nie auf die Bühne gekommen, nur konzertant aufgeführt worden. Sie hat als Sujet eines der berühmtesten Theaterstücke der 70er Jahre in Rumänien, eines der kritischsten überhaupt, in dem es um das Verschwinden der Personen innerhalb einer Diktatur geht. In dieser Oper ist die Hauptfigur auch aufgeteilt, allerdings in drei Personen, in Tenor, Bariton und Baß. Dort gibt es auch viele strukturelle Bezugspunkte für mich. Als Komponist bin ich Veru sicher noch näher als Marbé.
Welcher historischer Opernkomponist mich sehr beeinflußt hat, das ist Puccini. Das wird sicher zunächst sehr verwundern. Für mich ist Puccini sehr interessant in formaler und struktureller Hinsicht, und ich glaube er ist absolut mißverstanden. Ich hab mir Butterfly genau angeguckt, und ich finde phantastisch, wie reduziert das Material ist und wie artifiziell und manieristisch Puccini damit umgeht. Ich finde, daß Butterfly in kompositorischer Hinsicht überhaupt nicht kitschig ist, man hat sie nur so nie gehört. Ich habe mich auch mit Analysen von Turandot beschäftigt. Es gibt bei Puccini praktisch filmische Techniken, daß man Material nimmt und es immer kleiner schneidet und fast schon Video-Clip-artig aneinanderreiht. Das ist, so weit ich weiß, bisher in der Rezeptionsgeschichte kaum beobachtet worden. Der andere Opernkomponist, der mich sehr interessiert und der für mein Handwerk sehr wichtig war ist Janáceck. Allerdings hab ich um mein Handwerk zu schulen, nicht nur seine Opern studiert, sondern auch sein zweites Streichquartett.

OMM: Sie haben auch in China gearbeitet mit dem Ensemble Partita Radicale. Die klassische chinesische Musik, die Sie dort studiert haben, ist hierzulande wenig bekannt. Was können Sie uns von diesem Erfahrungsschatz berichten? Welche Bedeutung hat er für Ihre Arbeit?

Beimel: Nach China sind wir mit dem Ensemble zufällig gekommen, das ist jetzt aber eine viel zu lange Geschichte. Auf jeden Fall waren wir einen Monat da, haben traditionelle Musik studiert am Konservatorium von Tianjin, in der Nähe von Peking. Direkt ästhetisch beeinflußt hat mich das nicht. Was mich aber begeistert hat, ist der ungebrochene Wille und Mut zum Kitsch. Das finde ich gut. Ich glaube nicht, daß ich ein kitschiger Komponist bin, aber eine gewisse Art von Hemmungslosigkeit, die die Chinesen haben, gefällt mir sehr.
Sonst - ich weiß nicht, ob China mich wirklich direkt beeinflußt hat. Es gibt sicher Klangfarben grundsätzlich aus dem asiatischen Raum, die mir gefallen, und eine starke Akzentuierung durch Percussions. Und was mich schon lange begeistert, etwa wie zum Beispiel bei Komponisten wie Younghi Pagh-Paan, ist die Art, gehaltene Töne zu färben, mit kleinen Verzierungen, daß sie in Glissandi angeschliffen werden, spezielle Formen des Vibratos, also klangsinnliche Sachen, die ich aus dem Raum übernehme.
Etwas aber, was wichtig ist - eine entscheidende Wahrnehmung, die ich in China aufgenommen habe, das ist eine positivere Bedeutung des Kollektivs. Als Europäer bin ich natürlich vollkommen infiziert mit der Krankheit des Individualismus. Es ist eine der zentralen und hartnäckigsten Ideen Europas in der Kultur, daß eine Person da ist, die sich ausdrücken will. Von daher ist also China eine absolute Gesundkur, um zu sehen, daß ein Kollektiv durchaus nicht negativ ist. Ich finde, diese Erfahrung in China ist sehr entspannend, sie nimmt den Druck weg von dem "ich muß mich ausdrücken". Und das geht sehr gut zusammen mit meiner schon länger andauernden Antiphatie gegen das 19. Jahrhundert, mit meinen Vorbehalten gegen die Musik in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich habe einfach grundsätzlich Schwierigkeiten zu verstehen, wie ein Komponist, der nun mal doch sehr einsam ist, 200 Musiker braucht, um sich selbst auszudrücken. Das find ich eine starke Form von Hybris.

OMM: Also würden Sie sagen, daß diese Erfahrungen und Einsichten die stärkere Anregung aus der Zeit in China bedeuten als die chinesische Musik selber.

Beimel: Ja, so ist es. Das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv wird mich mit Sicherheit auch in Zukunft in Kompositionen beschäftigen.

OMM: Sie waren auch einige Zeit in Rumänien. Sie haben ein Buch über die rumänische Komponistin Myriam Marbé geschrieben, die dann auch ihre Lehrerin wurde, wie kam es dazu?

Beimel: Ich war 1991 bei einem Konzert in Berlin, eigentlich um ein Orchesterwerk von Jacquelin Fontyn zu hören, und man spielte das Saxophonkonzert von Myriam Marbé. Dies Werk hat mich absolut umgehauen. Ich kannte im Grunde alle Effekte, aber die Essenz der Musik war mir vollkommen unbekannt, sodaß ich sofort beschlossen hab, mehr über die Musik in Erfahrung zu bringen. Dann kamen mehrere glückliche Umstände zusammen: Ein Auftrag für dieses Buch plus ein Stipendium von der Südosteuropa Gesellschaft, und schließlich sah ich mich in Rumänien wieder. Seit dieser Zeit war ich mit Marbé sehr eng befreundet. Ich habe erst musikwissenschaftlich ihr Werk betreut und bin jetzt ihr Nachlaßverwalter. Ich habe dann als Interpret ihre Musik gespielt, und zum Schluß hat sie sich dann angeboten, mich privat in die Komposition einzuführen.

OMM: Marbé ist ja ein weiblicher Komponist, und daher möchte ist sie noch fragen zum Thema Frauen und Musik. Komponierende Frauen haben es ja in der Geschichte traditionellerweise immer besonders schwer gehabt. Etwas gebessert hat sich die Situation sicherlich. Die Frage ist nur, ob es viel ist.

Beimel: Viel ist es sicher nicht, wenn man sich die Statistik anguckt, ganz einfach. Komponierende Frauen sind immer noch ein marginaler Prozentsatz, auch wenn es inzwischen mehr als nur Alibi-Frauen gibt, einige Komponistinnen gehören mittlerweile wirklich zum Standard. Trotzdem bleibt die Masse männlich. Es geht einfach um die Frage von Macht, und die Macht ist männlich, und solange die Positionen nicht anders besetzt sind, wird sich das grundsätzlich auch nicht ändern.
Und das sind auch meine Erfahrungen mit unserem Ensemble. Es sind vier Frauen und ich eben als Mann, und es bleibt dabei, daß wir deswegen mit Sicherheit anders rezensiert werden, oder erst gar nicht eingeladen werden. Sobald wir irgendwo hinkommen und unbekannt sind, bin ich selbstverständlich der Ansprechpartner. Ich bin auch sofort der Leiter, obwohl wir von Beginn an basisdemokratisch arbeiten, ohne Leitung, und das auch immer angeben. Es bleibt einfach: die erste Diskriminierung der Welt ist zwischen Mann und Frau.

OMM: Das ist ja ein deutliches Statement zu diesem Thema.
Nun noch eine Frage zu Wuppertal: Sie leben und arbeiten in Wuppertal, Ihre Kammeroper ist entstanden in Zusammenarbeit mit CROSSOVERMEDIA Wuppertal und mit dem Kulturbüro Wuppertal. Warum fand die Uraufführung nicht in Wuppertal statt?

Beimel: Ursprünglich sollte die hier in Wuppertal stattfinden. Ich wollte ja frei produzieren. Dafür waren die ersten Sponsorengelder schon da. Das Kultursekretariat NRW hat dann aber zur Auflage gemacht, daß in der selben Saison noch drei weitere Aufführungen in NRW stattfinden müssen. Damals war noch keine Note geschrieben, was natürlich eine sehr heikle Situation war. Es gab nur ein Exposé. Ich habe rumtelefoniert, und es gab sonderbarerweise sofort Interesse.

OMM: Es gab sofort Interesse vom Theater Mönchengladbach, meinen Sie?

Beimel: Nein, sogar in mehreren Städten, in Bochum, am Stadttheater Remscheid und eben in Mönchengladbach. Und es hat mich natürlich sehr gefreut, weil offenbar sowohl das Sujet als auch die Umsetzung einen gewissen Nerv getroffen haben. Und dann kam ein Anruf aus Mönchengladbach, man teilte mir mit, wenn, dann möchte man lieber selber produzieren.

OMM: Und die Wuppertaler Oper, das Schillertheater NRW, hat kein Interesse gezeigt?

Beimel: Die hat nicht reagiert.

OMM: Nach dem nächsten Projekt wollte ich Sie zum Abschluß fragen. Können Sie uns noch ein konkretes Projekt verraten?

Beimel: Ja, es gibt im Januar ein Hörspielprojekt, das ich mit der Geigerin unseres Ensembles, Gunda Gottschalk, zusammen mache, es heißt Das Paradies.

OMM: Wie wird das Hörspiel dann aufgeführt? Kann es im Radio gesendet werden?

Beimel: Es wird hoffentlich auch gesendet. Wir können aber erst an einen Sender ran, wenn es fertig produziert ist, daher wird es erst als CD erscheinen.

OMM: Nun, dann sind wir sehr gespannt auf diese nächste Produktion! Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und bedanken uns für das ausführliche Gespräch.



Weitere Informationen
auf der Webseite des Komponisten unter www.thomasbeimel.de




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