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Ein anspruchsvolle Produktion:

Das Paradies - Ein HörSpiel



Cover



Das HörSpiel von Gunda Gottschalk und Thomas Beimel erlebte erst kürzlich im U-Club in Wuppertal seine Ursendung. Gebannt lauschten die mehr als 100 Gäste, die sich zu dieser ersten Präsentation des Werkes eingefunden hatten und ließen sich auf eine Traumreise entführen. Wie der schlichte Titel des Hörspiels angibt, geht es um die Suche nach dem Paradies, dem Wunsch nach einem Leben ohne Sorgen und Beschwerlichkeiten, nach der Erfüllung aller Wünsche und Begierden. Diese Suche ist eine Universalie, auf der ganzen Welt, von allen Menschen zu allen Zeiten wurde und wird sie verfolgt, überall und immer wieder werden Wünsche zu bestimmten Vorstellungwelten projiziert.

Jeder Kulturkreis entwirft seine eigenen religiösen Paradiesverheißungen. Die großen Religionen haben aber gerade in der westlichen Welt ihren Alleinanspruch verloren, sie tragen nicht mehr den verbindlichen Charakter einer kollektiven Identität. Es wetteifern vielmehr eine Vielzahl von Glücksversprechen um die Aufmerksamkeit des modernen Menschen. Großen Raum nehmen dabei auch profane Lebensbereiche ein: sei es die Werbung, die den Traum von der ewigen Jugend und Fitness beschwört und als leicht zu erkaufen anpreißt, oder seien es erotische Wünsche nach der vollkommenen Befriedigung, die sich in der trivialen Kultur finden. Heute gibt es daher nicht mehr den kollektiven Glauben an bestimmte Mythen, so wie sich offenbar auch die Hoffnung auf die eine rettende politische Ideologie verflüchtig hat. Der postmoderne Mensch glaubt nicht mehr an die großen Systeme, an die sinnstiftende Einheit. Möglich und wirklich sind nur mehr persönliche Versuche, selbst entworfene, aus der Vielzahl der Angebote zusammengestellte Konzepte, mit dem sich ein jeder seinem eigenem Glück zu nähern versucht. Das Leben gerät so in die Nähe eines Experimentes, die Lebensführung hat etwas von einem Spiel.

Diese Überlegungen waren der Ausgangspunkt für das Hörspiel zum Paradies, das sich bewußt als Hör-Spiel versteht. Die verschiedenen Bereiche bestimmter Glückverheißungen haben die Autoren und Komponisten Gottschalk und Beimel aufgegriffen. Sie sahen die Chance, in einem Hörspiel verschiedene Textsorten zusammenzubringen und vielstimmig ihre Ansprüche tönen zu lassen. Es werden in dem Hörspiel geschickt aus dem heterogenen Material verschiedene Ebenen gebildet, die ihren eigenen Klang durch die ihnen zugeordneten Sprecher und Instrumente aufweisen.

Ein Erzähler, eine nicht näher bestimmte Person, nimmt den Zuhörer mit auf seine Traumreise, auf seine Suche nach dem Glück. Gesprochen wird diese Person von Olaf Reitz mit unmittelbar einnehmender, wohlklingender Stimme. Zunehmend wird dieser Reisende mit den verschiedenen Ansprachen von Glücksversprechen konfrontiert und stark irritiert. An diesen Zudringlichkeiten und Verwirrungen nehmen wir als Zuhörer teil. Die religiösen Texte, Passagen aus dem Koran und aus der Bibel werden von mehreren älteren Stimmen gesprochen, oder vielmehr gemurmelt und beschworen, in einem gemeinsamen Sing-Sang, sinnend, suchend, erinnernd. Gekonnt eingestreut, sich aufdringlich in den Vordergrund drängend, finden sich Texte der Kosmetik-Werbung. Suggestiv gesprochen, zugleich von unterkühlter Sinnlichkeit, werden sie brillant von Claudia Gahrke vorgetragen. Auch triviale erotische Texte werden hörbar, anspruchsvoll eingebracht von Betty Striewe. Besonders Freude machen die Einwürfe, die das Schlaraffenland verheißen. Der Brasilianer Geraldo Si Loureiro liest mit Entzücken, sein Akzent wird zum Vergnügen, die Stimme verströmt Charme und macht Lust auf ewige Genüsse. Immer dichter überlagern sich die verschiedenen An-Sprüche, bis zur dichten, vielstimmigen Verwirrung, werden bis zum Climax geführt. Schließlich kehrt Ruhe ein, ein Innehalten, eine unbestimmte Sehnsucht bleibt. Das Spiel endet mit einem Text aus Bachmanns Malina.

Getragen wird das Zusammenspiel der Texte von einer farbreich instrumentierten, sehr anspruchsvollen Musik, die spannungsreich durch die Reise führt. Den verschiedenen Ebenen sind zunächst natürlich verschiedene Instrumente zugeordnet, besonders intensiv klingt das Cello gespielt von Scott Roller zum Sprecher der Traumreise. Mehr und mehr verdichten und überlagern sich auch die musikalischen Stimmen. Eine komplexe Begleitung, ja mehr noch eine musikalische Auserzählung findet die Reise.

Entstehen konnte aus den vielfältigen, zusammengeführten Komponenten in ihrer kunstvollen Entwicklung und der genauen, gekonnten Ausführung eine äußerst hörenswerte Produktion. Sie ist von moderner Textur mit hoher literarischer und musikalischer Qualität. Dabei verströmt sie bei gekonntem Humor zugleich eine gewisse Wärme, die nicht unberührt läßt. Nicht, daß sie bestimmte Hoffnung vermitteln wollte, daß sie eine Antwort, zumindest ein Versprechen geben könnte. Aber sie drückt doch Verständnis für diese alte Sehnsucht aus - gemeinsam ist uns nicht die Art der Paradiesvorstellung, gemeinsam ist uns aber das Suchen.

Das Projekt wurde von der Filmstiftung NRW gefördert. Die Stiftung teilte erfreulicherweise nicht die Bedenken anderer Stellen, das Hörspiel enthalte problematische erotische Texte. Die durchaus verwendeten erotischen Texte sind keinesfalls als pornographisch zu werten, denn sie werden in die Collage nicht ohne ironischen Unterton eingebracht und sind wichtiger Bestandteil der Gesamtkomposition. Glücklicherweise ließen sich die Künstler von dem Vorwurf nicht beirren, und die CD konnte unverändert veröffentlicht werden. Es ist dem anspruchsvollem Werk nur zu wünschen, daß es nun engagierte Sender findet, die das HörSpiel in ihr Programm aufnehmen.


Meike Nordmeyer, Wuppertal
Februar 2000



Gunda Gottschalk & Thomas Beimel
Das Paradies. Ein HörSpiel.
53:26 Minuten
Valve Records #1080
Tel: 0212 / 2472149
Fax: 0212 / 2471640

Sprecher:
Erzähler: Olaf Reitz. Schlaraffenland: Geraldo Si Loureiro.
Kosmetik: Claudia Gahrke. Porno: Betty Striewe.
Die Alten: Hannelore Albus, Magda Hennings,
Elisabeth Scherer, Walter Stickhan, Heinz Walter.
Musiker:
Trompete: David Maxsein. Posaune: Holger Heines.
Violoncello: Scott Roller. Harfe: Juliane Bärwaldt.
Schlagzeug: Bernd Oppel. Tasteninstrumente: Gunda
Gottschalk, Reinhard Finke, Thomas Beimel.

Produziert von Gunda Gottschalk, Thomas Beimel
und Reinhard Finke.



Beachten Sie auch unser Interview
mit dem Komponisten Thomas Beimel





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