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Julia Spinola
Die großen Dirigenten unserer Zeit

Klangmagier, Junge Wilde und dirigierende Frauen

Von Stefan Schmöe

Ein Konzertführer ist in vielen gutbürgerlichen Haushalten ja vorhanden; wie aber bereitet man sich auf den Künstler vor, den man am Abend auf dem Podium erleben wird? Ein „Informationsdefizit“ hat Julia Spinola, Musikjournalistin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hier ausgemacht (so schreibt sie im Vorwort des vorliegenden Bandes), und möchte dem abhelfen – nicht mit sattsam bekannten biographischen Notizen, sondern mit einer „Interpretentypologie jener Dirigenten, denen man ‚live' begegnen kann“. 30 Portraits stellen, so der Titel des Buches, Die großen Dirigenten unserer Zeit auf jeweils etwa fünf bis sechs Buchseiten dar, weitere 100 Pultstars vermeintlich geringerer Provenienz werden immerhin halbseitig lexikalisch abgehandelt (dort allerdings rein biographisch, sodass die Typologie auf die 30 vermeintlich größten Kapellmeister beschränkt bleibt).

Die Auswahl ist, so sehr man über solche Ranglisten diskutieren kann, weitgehend plausibel, allerdings sind dies nicht die Größten schlechthin, sondern ausschließlich aktuell im deutschsprachigen Raum aktive Künstler (und weil ein zweifellos eminent wichtiger Orchesterchef wie James Levine gerade von München nach Boston gewechselt ist, bleiben ihm Spinolas Weihen vorenthalten). Problematisch ist aber der Versuch einer Typisierung und damit das „Programm“ dieses Dirigentenführers. Ein solches Unterfangen setzt voraus, dass ein Dirigent grundsätzlich, d.h. unabhängig vom zu interpretierenden Werk, einem bestimmten Typus zuzuordnen ist, also Mahler, Mozart und Messiaen aus dem gleichen Blickwinkel dirigiert. Julia Spinola versucht, an einzelnen Stellen bestimmter Aufführungen oder Aufnahmen solche Grundausrichtungen nachzuweisen; aber notgedrungen bleibt sie, dann in dieser Darstellung doch auf sehr engen Raum beschränkt, oberflächlich und detailverhaftet. Sie bedient sich dazu oft einer metaphorischen, aber eben auch sehr klischeehaften Sprache: Bei Chailly kommt „architektonische Reibungshitze“ zur Geltung, Ozawa hat Fähigkeit zu „nuancierter Klangformung“ (bei Nott heißt das „agogische Nuancierungskunst“, Haitink bringt „manche nie gehörten Klangnuancen zum Sprechen“), und für Zagrosek ist „Hartnäckigkeit in der Sache“ bezeichnend – solche Worthülsen sind austauschbar und wohl bei jedem der Portraitierten irgendwie zutreffend.

Natürlich lassen sich Dirigenten in mancher Hinsicht einteilen, etwa, was Operndirigate angeht, in sängerfreundliche und tendenziell stärker orchesterfixierte Typen (dieses Merkmal hätte ruhig stärker beleuchtet werden können). Dagegen sind die Schubladen, die zwecks Typisierung hier geöffnet werden, wenig hilfreich. Harnoncourt, Gardiner und Norrington lassen sich noch vergleichsweise einfach als Gruppe „Vom Originalklang zur universellen Klangrede“ zusammenfassen (obwohl eine genauere Analyse der Unterschiede zwischen den Dreien wünschenswert wäre). Cambreling und Metzenmacher haben einen „Schwerpunkt: Neue Musik“, was richtig ist, aber nur ein bekanntes Klischee aufkocht. Warum Muti als „Formanalytiker und Formdramatiker“ zusammen mit Abbado, Gielen, Zagrosek und Nagano geführt wird, geht aus dem Text nicht schlüssig hervor, und die Gruppe „Klanganalytiker und Klangmagier“ ließe sich sicher auch anders füllen als mit Boulez, von Dohnanyi, Ozawa, Blomstedt und Welser-Möst. Ans Absurde aber grenzt die Kleingruppe „Frauen erobern das Feld“ mit Sian Edwards und Simone Young – da scheint nach Meinung der Autorin das Geschecht das wichtigste musikaische Merkmal zu sein. Und „Jungstars und Newcomer“ wie Mark Albrecht, Daniel Harding und Jonathan zeichnet das Alter und, ganz Klischee, die altersangemessene Wildheit aus. Auf diese Typologie kommt man auch ohne Lektüre des Buches.

Bleiben als verwertbare Essenz die biographischen Notizen, die immer auch abfragen, wie stark sich der jeweilige Dirigent für moderne Musik eingesetzt hat und welche Rolle er als Intendant oder in ähnlicher Funktion gespielt hat – das sind natürlich auch überprüfbare Kriterien, die einfacher zu bewerten sind. Zu jedem der Dirigenten (auch den nur kurz abgehandelten) gibt es eine kurze Auswahl aus der Diskographie, leider unkommentiert, obwohl Frau Spinolas Fachwissen hier wirklich hilfreich wäre – als Anregung, welche Aufnahmen exemplarisch bestimmte im Text angedeutete Eigenschaften aufzeigen. Gemessen an den eigenen Ansprüchen ist das für diesen Dirigentenführer ziemlich wenig.



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Cover


Julia Spinola
Die großen Dirigenten unserer Zeit

Henschel-Verlag Berlin, 2005
288 Seiten
30 s/w-Abb.
13,5 x 21,5 cm
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 3-89487-480-5
24,90 Euro (D)

Weitere Informationen unter:
www.henschel-verlag.de




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