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Gebremster Reformeifer

Das OMM, der Duden und die alt-neue Rechtschreibung


Von Stefan Schmöe (August 2004)

Toll: 5000 neue Wörter! verheißt der neue Duden, der brandneu auf dem Markt und unseren Redaktionsschreibtischen gelandet ist. Für die Duden-Redaktion sind die Zeiten hart, massiert sich doch der journalistische Widerstand gegen die Rechtschreibreform, die das OMM zwar nicht konsequent abgelehnt, jedoch nur halbherzig übernommen hat: An „ss“ statt „ß“ kann man sich gewöhnen, und manche Groß- statt Kleinschreibung muten wir unseren Lesern gedankenlos zu, weil da ein Bedeutungsverlust nicht zu erkennen ist. Wo das umstrittene Regelwerk allzu konsequent zur Getrenntschreibung verpflichtet, pochen wir freilich auf das Recht auf sprachliche Nuancierung und überlassen es dem jeweiligen Redakteur, feinsinnig seine Worte so zu setzen, wie es die Intention seines Textes verlangt.

Doch oh welch' Glück! Der neue Duden bietet, anders als sein Vorgänger, in den allermeisten Fällen ohnehin alte wie neue Variante fast gleichberechtigt nebeneinander an – mal steht die eine, mal die andere Variante vorne, ohne dass wir da eine Systematik erkennen wollen. Trennen darf man offenbar inzwischen nach fast jedem Buchstaben – aber das ist uns Online-Journalisten mit schwankenden Bildschirmbreiten eigentlich gleich. Ansonsten gilt wohl der Grundsatz: Wenn man es allen recht (nicht Recht!) macht, behält man vielleicht seinen Status, das zumindest halboffizielle Standardwerk der deutschen Rechtschreibung zu sein. Die unerwartete orthographische (auch: orthografische) Liberalität, die plötzlich aus diesem gelben Buch spricht, ist (den dogmatischen Sprachverteidigern beider Lager zum Trotz) allen mündigen Lesern wie Autoren ein Gewinn, glauben wir.

Auch wenn der neue Duden durch die Vielfalt jetzt zugelassener Alternativschreibweisen streng genommen (auch: strenggenommen) seine Aussagekraft einschränkt – durch übersichtliches Layout mit vielen Info-Kästen findet man sich schnell zurecht. Mitunter tauchen Informationen auch da auf, wo sie zwar nicht hingehören, aber möglicherweise von Neuschreibfanatikern gesucht werden. So unsere beglückende Erfahrung mit dem Wort „Rhythmus“, das in einem Musikmagazin ja eine gewisse Präsenz hat: Es wird geschrieben wie immer, mit „ y “ und zwei „h“ (Änderungsversuchen hätten wir uns hier allerdings auch vehement widersetzt). Schaut man aber vorsichtshalber unter „Rytmus“ nach, so findet man an eben dieser Stelle einen vom normalen Text abgesetzten Kasten mit der Überschrift „Rhythmus“ und folgendem Inhalt: „Das Substantiv ist über das Lateinische aus dem Griechischen ins Deutsche entlehnt worden. Wie das Herkunftswort wird es am Wortanfang mit rhy- geschrieben.“ Warum die Kommission dem Thunfisch, nicht aber dem Rhythmus sein „h“ nehmen wollte, müssen wir nicht verstehen – aber der Tunfisch wird ja auch wieder gleichberechtigt als Thunfisch angeboten.

Und die 5000 neuen Wörter? Zugegeben, so genau haben wir alte und neue Auflage nicht verglichen, sondern uns auf die „111 ausgewählten Neuwörter“ verlassen, die der Pressemitteilung beigefügt sind. Darunter sind so schöne Begriffe wie „Steuervergünstigungsabbaugesetz“, „Beitrittsland“ und „Intimschmuck“, deren Schreibweise uns, ehrlich gesagt, alt wie neu wenig Probleme zu machen scheint. Aus dem musikalischen Bereich ist wenig dabei, „Musiktauschbörse“ fällt uns auf. Was aber mag eine „Zeste“ sein? („in sehr feine Streifen geschnittene Zitrusschale“). Den Begriff „Saftschubse“ kann man vielleicht mal in einer Rezension unterbringen („ugs. abwertend für Flugbegleiterin“). „Schnackseln“ ist nicht jugendfrei, und „quarzen“ ist eine umgangssprachliche Bezeichnung fürs Rauchen – „quarzfreie Zonen“ interessieren dann demnächst wohl nicht nur Geologen. Und hört, hört! – ein „Zentralabitur“ gibt es in PISA-erfolgreichen Bundesländern zwar seit Jahren – aber erst jetzt teilt die Duden-Redaktion uns mit, wie man das Wort zu schreiben hat. So ist der neue Duden eben jedem eine, wenn auch mitunter späte, Hilfe. Und wenn das OMM trotzdem mal davon abweicht, dann in der Hoffnung, vielleicht auch einmal ein so schönes „Neuwort“ zu kreieren


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Cover
Duden - Die deutsche Rechtschreibung
Herausgegeben von der Duden-Redaktion.
Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln.
23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage.
1152 Seiten. Gebunden.
ISBN 3-411-04013-0
Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2004
€ 20,- [D] / 20,60 [A]; 35,10 sFr.

Buch plus CD-ROM:
(PC-Bibliothek Express) für Windows und Apple Macintosh (bis Mac OS9)
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