Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Feuilleton
Zur Homepage Zur Homepage E-Mail Impressum



Ein Röntgenbild der Zeit und seiner Seele

Zum Tod von Christoph Schlingensief (1960-2010)

Von Joachim Lange

Christoph Schlingensief ist tot. Mit nur 49 Jahren ist er seinem Krebsleiden erlegen. Er hat mit allen Mitteln und einer unglaublichen Kraft dagegen angekämpft. Rückhaltlos öffentlich, auch mit seiner Kunst, in der er ohnehin immer selbst zum Thema gehörte, denn er konnte wie kein anderer mit entwaffnender Rigorosität ICH sagen. Zu befürchten war diese Nachricht schon länger. Der im persönlichen Umgang so gewinnend sympathische Wuschelkopf sah in der letzten Zeit schlecht aus. Man hörte auch den knapper werdenden Atem, wenn er sprudelnd ohne Punkt und Komma redete und man dabei zusehen konnte, wie beim Reden seine Gedanken wucherten. Doch man wollte ihm gerne glauben, dass er mit seinem Kampf gegen den Lungenkrebs nicht auf verlorenem Posten stand. Man wollte glauben, dass er im nächsten Jahr auch noch den deutschen Biennale-Pavillon in Venedig seinem ganz eigenen Kosmos von Weltaneignung würde einverleiben können. Und man wollte ihm auch glauben, dass es mit seinem afrikanischen Operndorf-Projekt in Burkina Faso gegen alle Wahrscheinlichkeit etwas werden könnte.

Man wollte all das gegen den Anschein der eskalierenden Krankheit glauben, weil man ihm seine Kunst, sein Leben glaubte. Schlingensief war mit allem, was er machte, immer er selbst. Und das waren Viele. Doch als er Ende Juni mit seinem als Via Intolleranza / Remdoogo genannten Operndorf-Zwischenbericht in München, im neuen Opernpavillon hinter der Staatsoper, Station machte, da konnte er nur in zwei der drei Vorstellungen selbst mitmachen. Am Abend vor der letzten musste er zu seinen Ärzten nach Berlin zurück. Da war seine Kraft noch ganz gegenwärtig, aber er war nur noch im Film zu sehen. Man musste an die Lungenskulptur denken, die er im Frühjahr 2008 in der vom Krankenbett aus inszenierten Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna von Werner Braunfels wie ein Menetekel aus dem Schnürboden schweben ließ. Das war ein Moment, in dem sich Kunst und Wirklichkeit mit unheilvoller Ahnung berührten. Doch Christoph Schlingensief ging in die Offensive, machte seinen Kampf gegen den Tod zu einem Gesamtkunstwerk, das sich der Kritik entzog. Sein Fluxus-Oratorium Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir gehört dazu, sein wütender Aufschrei in Buchform „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ und natürlich seine Wiener Ready Made-Oper Mea Culpa.

Der Apothekersohn aus dem Ruhrgebiet war früh als Filmer angetreten und hatte den Kettensägenmassaker-Provokateur kultiviert. Doch nichts war bei ihm provozierender Selbstzweck. Weder seine „Tötet Helmut Kohl“ Aktionen, noch die Parteigründung „Chance 2000“. Eine typische Schlingensief-Aktion war seine Einladung an die vier Millionen deutschen Arbeitslosen ins Salzkammergut zu kommen. Sie sollten im Wolfgangsee baden, um das St. Gilgener Dauerurlaubsdomizil ihres damaligen Kanzlers Helmut Kohl zu überschwemmen! Sie kamen natürlich nicht, aber die Medien hatten ein Thema und Schlingensief trotzdem sein Ziel erreicht, etwas zu verdeutlichen und eine Diskussion anzustoßen. Zwei Jahre später, im Jahre 2000, sorgte dann zu den Wiener Festwochen sein Ausländer-Container vor der Staatsoper für Furore. Bei dieser Paraphrase auf die Big-Brother-Manie des Privatfernsehens durfte und sollte das heimische Publikum entscheiden, welcher Ausländer wieder gehen sollten ….

Da war Schlingensief längst nicht mehr der wilde Filmemacher, der sich seit seinen diversen Studien künstlerisch und medial bis zum Deutschen Kettensägenmassaker (1991) vorgearbeitet hatte. Da war er längst als enfant terrible ein Star in seinem eigenen Universum. Mit einem inzwischen beeindruckenden Werkverzeichnis, wenn man denn diesen konventionellen Begriff mal auf die Zwischenresultate des Gesamtkunstwerkes Christoph Schlingensief anwenden will. Ob nun in Film, Fernsehen und Theater, ob mit Hörspiel, CD oder DVD, ob mit Aktionen, als bildender Künstler oder als Opernregisseur – überall mischte er mit, erfand das jeweilige Medium und sich selbst neu. Und blieb sich doch auf eine gewisse Weise auch immer treu. Er hatte nicht nur sein Filmhandwerk gelernt, ausgeübt und auf die Bühne übertragen, er hatte auch eine Art Kunstreligion erfunden. Und sich selbst in deren Exerzitien und Rituale rückhaltlos eingebracht, bis zur Selbstentblößung. Er lieferte nicht nur ein Röntgenbild der Zeit, sondern immer auch eines seiner Seele mit.

Das machte ihn für puristische Anwälte einer separierten Hochkultur natürlich angreifbar. Für sie blieb er das Schreckgespenst. Für jene aber, die einer auf ihrer eigenen Kreativität und Individualität bestehenden Auseinandersetzung mit der Welt etwas abgewinnen konnten, war Christoph Schlingensief bald vor allem ein Künstler, dessen Authentizität man sich schlichtweg nicht entziehen konnte. Selbst wenn man ihm nicht auf jedem seiner Erkundungspfade folgen mochte. Oder bei manch einer Dschungelerkundung doch lieber vom gesicherten Terrain aus dem Entdecker zusah.

Diese Metaphorik war im Falle Schlingensief sowohl im übertragenen, als auch im wörtlichen Sinne zu verstehen. Wo Werner Herzog und Klaus Kinsky 1982 mit Fitzcarraldo eine cineastische Opernmagie im Amazonasurwald entfalteten und im kollektiven Gedächtnis verankert haben, da zog Schlingensief, durchaus auch auf deren Besessenheits-Spuren, ins brasilianische Manaos und inszeniert 2007 im Teatro Amazonas den Fliegenden Holländer. Mit allem Tamtam.

Das war wohl auch eine Nachwirkung seiner zentralen Parsifal-Erfahrung. Denn selbst so ein Heiligtum der Hochkultur wie Wagners Parsifal war gegen seine Vereinnahmung nicht resistent. Und der Grüne Hügel in Bayreuth auch nicht. Für diesen ambivalenten Ort deutschen Selbstverständnisses läutete im Jahre 2004 der Einfall des Opernnovizen Schlingensief - samt Wohnwagen, Medienoffensive und kreativ-chaotischem Arbeitsstil - künstlerisch jene Verjüngung ein, an der jetzt vom neuen Damenduo an der Spitze der Festspiele weitergebaut werden muss. Natürlich gab es auch in seinem vierten und letzten Parsifal-Jahr noch einen veritablen Buhsturm. Aber ihm fehlte jene hasserfüllte Verbissenheit vom Anfang. Und es gab ein zahlreiches und lautstarkes „Pro“ Im Saal und im Feuilleton. Auch wenn das Schlussbild manch einen vom „Hasifal“ spötteln ließ. Dabei war sein Bildersog weniger eine multireligiöse Provokation gegen die Gralshüter der reinen (Wagner-)Lehre dieses privatreligiösen Bühnenweihfestspiels, als vielmehr ein ästhetischer Umsturz. Oder Aufbruch. Die assoziative Bildüberflutung der Bühne im Festspielhaus sprengte Grenzen und hob, auch wenn man immer noch nach vorn sehen musste, die Trennung zwischen Bühne und Auditorium auf. Außerdem war die Ernsthaftigkeit von Schlingensiefs Vorbereitungs- und Überarbeitungseifers nicht zu übersehen. Denn auch wenn es oft anders aussah und sehen soll: Der Mann hatte nicht nur einen gewinnenden Charme und exzellente Umgangsformen – er war vor allem ein ernsthaft arbeitender Künstler! In seinen Bayreuther Sommermonaten war er jedenfalls näher an den Tugenden des Festspiel- und Werkstattgedankens als so mancher der routinierten Altmeister. Sicher war es eine der Schlingensiefschen Kapriolen, im Süden Afrikas mit dem Walkürenritt aus dem Lautsprecher durch die Wüste zu preschen oder die Robben mit Wagnerklängen zu beschallen, sie zu filmen und das dann in Bayreuth über die Szenerie zu legen. Einen reflexiv verführerischen Witz hatte es trotzdem. Außerdem hatte er mit seiner Version von Elfriede Jelineks Bambiland einen langen Anlauf für die Hügelerstürmung über das Wiener Burgtheater genommen.

Hemmungen, sich an Heiligtümer zu wagen, hatte er natürlich auch bei Schauspiel-Klassikern nicht. So jubelte er bei seinem Zürcher Hamlet 2001 der Schauspielertruppe des Dänenprinzen eine Gruppe von Ex-Neonazis unter. Da wurde Kunst zugleich zur Therapie für die Aussteiger und eine kranke Gesellschaft. Mit seiner Aktion 18 – Tötet Politik knüpfte er dann an sein umstrittenes Tötet Helmut Kohl! -Documenta-Spektakel von 1997 an. Jetzt aber mehr wie ein Voodoo-Priester im Late-Night-Plauderton. Mehr oder weniger politisch war eh alles, was er machte.

Und wenn Ängste vor dem Leben oder vor dem Tod einem Gutteil der Bühnenliteratur aus der Distanz immer schon das Unterfutter liefern, so wurde seine Kirche der Angst oder, und dann als künstlerische Reaktion auf seine Krebserkrankung, das Fluxus-Oratorium Auferstehungsmesse auf der RuhrTriennale zu einer höchst persönlichen Angelegenheit. In solchen Momenten waren Kunst und Künstler auf eine besonders berührende Weise miteinander verbunden.

Sicher, dass Schlingensief immer auf diese Weise er selbst war, das empfand mancher als egozentrisch. Auch das Reden über seine Krankheit. Doch auch bei ihm saß der Schock so tief, dass es nach der Diagnose erst ein monatelanges Schweigen gab. Und dann das Aufbegehren, das freilich weit über ein persönliches Betroffenheitstheater hinausging.

Am liebsten erfand er sich seinen Raum, die Zeit und das was darin passierte selbst. Solche Kreationen heißen dann zum Beispiel Animatograph. Sie starten in Island und landen vor den Toren Berlins auf dem Gelände eines ausgedienten Militärflughafens im preußischen Sand. Ein Teil von dem, was im Wald um das Schloss Neuhardenberg 2005 auf geheimnisvolle Weise lebendig spukte, war dann immerhin noch im Zürcher migrosmuseum oder in Leipzig nachzubesichtigen. Wenn er mit seiner Karawane durch die Welt zog, lud er sich und seinen Mikrokosmos mit dem auf, was er dort vorfand. Ob nun in Afrika, in der Abgeschiedenheit Nepals, in Island oder im Dickicht des Amazonas. Für ihn und seine künstlerische Entourage waren das Ziele für reale Exkursionen und geistige Orte. Sie markieren die Weite, ja Grenzenlosigkeit seines Kulturverständnisses und seiner Welterfahrung. An der er uns alle teilhaben ließ, wenn wir nur wollten.

Spätestens mit seinem weit ausholenden Anlauf auf den Gesamtkunstwerker Richard Wagner und seiner Parsifal-Punklandung in Bayreuth war der notorische Infragesteller des etablierten Kulturbetriebes in dessen Mitte angekommen. Und zunehmend respektiert. Schlingensief hat diese Welt immer in vollen Zügen eingeatmet. Es ist eine teuflische Pointe, das ihm nun ausgerechnet die Lungen den Dienst versagten. Die beispiellose Erschütterung, mit der das deutschsprachige Feuilleton und die politische Öffentlichkeit jetzt auf seinen Tod reagierte, die hätte ihn gefreut und amüsiert. Er war mit der Welt längst nicht fertig. Und die nicht mit ihm. Er fehlt jetzt schon.

Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)




Foto
Christoph Schlingensief (1960 - 2010)
Foto: Aino Laberenz



www.schlingensief.com

www.festspielhaus-afrika.com



Da capo al Fine

Zur Homepage Zur Homepage E-Mail Impressum

© 2010 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
Email: feuilleton@omm.de

- Fine -