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25 Jahre Ballett Schindowski in Gelsenkirchen:

Mein Bernd-Schindowski-Fotoalbum


Von Stefan Schmöe (September 2003)

Seit 25 Jahren ist Bernd Schindowski Ballettchef in Gelsenkirchen – damit hat er mehrere Intendanten und sogar eine zeitweilige Fusion mit den Wuppertaler Bühnen überstanden. Solche Beständigkeit zeigt künstlerische Kontinuität und Verbundenheit mit einem Theater und seinem Publikum, und wirft trotzdem die Frage auf, warum sich ein erfolgreicher Choreograph eine derart lange Zeit sesshaft macht, anstatt in gewissen Abständen neue Herausforderungen zu suchen. Eine Parallele gibt es - scheinbar - nur ein paar Kilometer weiter, in Wuppertal, wo Pina Bausch mit ihrem Tanztheater sogar schon ein paar Jahre länger heimisch ist, und doch täuscht der Vergleich: Ist die Wuppertaler Provinz seit je für Pina Bausch eine Art Basislager gewesen, von dem aus sie, weitgehend unbehelligt von repräsentativen Pflichten (denen sich ihre Ästhetik ohnehin verweigert), die Tanzwelt erobern konnte, so ist Schindowski weitaus stärker an "sein" Theater gebunden, choreographiert deutlich stärker ausgerichtet auf das heimische Abonnementspublikum. Boshaft könnte man sagen, er sei in Gelsenkirchen „hängen geblieben“ – was sich natürlich anlässlich eines Bühnenjubiläums zu sagen nicht ziemt, wäre da nicht der hier zu besprechende Bildband, der permanent zwischen den Zeilen und mitunter sogar ganz direkt die Frage nach der überregionalen Bedeutung Schindowskis aufwirft.

Der Titel des Buches Nur wer die Sehnsucht kennt ... ist gleichzeitig Titel eines von Schindowskis Stücken und zeigt unfreiwillig den großen Schwachpunkt des Jubilars, die oft gefährliche Nähe zum pathetischen Kitsch, der in diesem Halb-Zitat aus Goethes Mignon-Gedicht (die Fortführung „... weiß, was ich leide“ darf man in Gedanken ergänzen) mitschwingt. An einer kritischen Bestandsaufnahme ist Jörg Loskill, dem Herausgeber des Bandes, aber nicht gelegen; vielmehr will er Schindowski feiern und ihn vorsorglich gegen alle Angriffe in Schutz nehmen. Dabei verfällt Loskill in seinem eigenen Textbeitrag in ähnlich blumige Ergriffenheit, wie sie in den schwächeren Passagen von Schindowski-Balletten zu Tage tritt: Da wird Schuberts Winterreise (choreographiert 1980) zu „schmerzenden Liedkosmen“, die in „virtuos-entlarvende Posen“ übersetzt werden. Und nichts gegen Alfred Biolek, aber ausgerechnet ihm die Frage zu stellen, wie Schindowski international einzuordnen sei (was der Journalist Loskill zweifelsohne selbst fundierter hätte beantworten können), verlagert die Auseinandersetzung mit Schindowski auf Talkshow-Niveau (wobei sich Biolek elegant-salomonisch aus der Affäre zieht). Und auch Ex-Bundesminister und Kirchenpräses Jürgen Schmude und Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert sind, ihrer Unverbindlichkeit wegen, keine wirklich überzeugenden Kronzeugen für Schindowski.

Aufschlussreicher sind die Beiträge, die Schindowski selbst beigesteuert hat: Neben dem unvermeidlichen Interview (mit Jugendfotos von unfreiwilliger Komik – „Bernd Schindowski 1965 im Urlaub in Norwegen“) 10 Portraits von Weggefährten, wobei ein sorgfältigerer Lektor sicher darauf aufmerksam gemacht hätte, dass Schindowski allzu offen Intima ausplaudert, die nicht unbedingt in ein solches Buch gehören. Das Werkverzeichnis ist schlampig, weil Schindowskis Arbeiten aus seinem Engagement am Ulmer Theater nicht aufgeführt sind und nicht einmal Abkürzungen wie „KH“ und „GH“ (das soll wohl „Kleines Haus“ und „Großes Haus“, die Spielstätten des Gelsenkirchener Theaters, bedeuten). Warum sich Loskill ausgerechnet die Tänzerin Cécile Rouverot für ein Einzelportrit ausgesucht hat, bleibt sein Geheimnis.

Nun sind die Textbeiträge in einem Bildband eigentlich zweitrangig. Der Bildteil ist unterteilt in einen farbigen „Bilderbogen“ (16 Seiten) und eine schwarz-weiße „Fortodokumentation 25 Jahre Ballett Schindowski“ (76 Seiten). Leider vertraut der Herausgeber auch hier nicht auf Schindowskis Werk. Statt großformatiger Abbildungen, die für sich selbst (und Schindowski) sprechen könnten, sind überwiegend kleine bis sehr kleine Formate gewählt worden, auf denen fast nichts mehr zu erkennen ist – es wirkt wie ein privates Fotoalbum von jemandem, der sich beim Blättern zu erinnern vermag: Ach ja, das war schön. Da möglichst viele der etwa 80 Produktionen Schindowskis festgehalten worden sind, gelingt es kaum einmal, den besonderen Charakter eines Stückes einzufangen. Es wäre ungleich überzeugender gewesen, eine strengere (Stück-)Auswahl zu treffen und daran das Wesentliche an der Choreographen-Kunst Schindowskis, die er in starken Momenten oft genug gezeigt hat, darzustellen. Zu den Absurditäten gehört es, dass man den Namen des Fotografen der Aufführungsfotos sorgfältig suchen muss – eine biografische Notiz (die immerhin Biolek, Schmude etc. zugestanden wird) fehlt vollständig. Zur Information: Es handelt sich um Rudolf Majer-Finkes, der alle Gelsenkirchener Theaterproduktionen für die Presse fotografiert. Dass die Bilder recht beliebig wirken, mag neben der geringen Größe auch am recht dürftigen Druck liegen; zu oft scheinen die Bilder austauschbar, könnten zu jeder Produktion (auch eines anderen Choreographen) gehören. Am überzeugendsten sind die Bilder von Stücken für Kinder, wo am ehesten Schindowskis Brechungen, Abweichungen von der Konvention eingefangen sind.

Keine Frage, nicht nur Schindowskis, sondern noch viel mehr des Publikums wegen ist ein ordentlicher Bildband über das Ballett Schindowski angebracht. Allerdings müsste es einer sein, der mehr Mut zur Kritik hat, auch mehr Distanz zu seinem Gegenstand. Kunst lebt von der Diskussion, und Schindowski sucht oft genug auch die Konfrontation mit dem Publikum, sogar die Provokation (nicht um ihrer selbst, aber um des Kunstwerks willen). Dieser Band, so verdienstvoll sein Anliegen sein mag, weicht der Diskussion aus. Bernd Schindowski hätte zum Jubiläum ein mutigeres Buch verdient.


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Cover


Titelbild:
Kaori Nakazaba in Gilgamesch-Epos



Jörg Loskill (Hrsg.):
Nur wer die Sehnsucht kennt ...
25 Jahre Ballett Schindowski.

Mit Beiträgen von Jörg Loskill, Norbert Lammert, Konrad Schilling, Jürgen Schmude und Bernd Schindowski

Fotos von Rudolf Majer-Finkes

Klartext Verlag Verlag, Essen, 2003.
Festeinband. 144 Seiten. € 19,90
ISBN: 3-89861-227-9



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