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Schuberts politische Heimat



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September 1824: Mit dem Gedicht "Klage an das Volk", das er an seinen Freund Franz von Schober sendet, zeichnet Franz Schubert ein dunkles Bild der Lebenswirklichkeit im "System Metternich". Er und sein Freundeskreis in Wien erleben eine Gesellschaft in geistigem und kulturellen Stillstand: repressiv und antiliberal. Diese Gruppe besteht neben Schubert, Schober und dem geistigen Vater Joseph von Spaun aus vielen Literaten, Dichtern und auch Malern. Ihr Merkmal: eine der Zeit Metternichs gegenläufige, mehr oder weniger deutlich geäußerte politische Meinung.

Michael Kohlhäufls Buch "Poetisches Vaterland. Dichtung und politisches Denken im Freundeskreis Franz Schuberts" ist ein Portrait dieses Kreises, der sich etwa zur Zeit der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses zum ersten Mal zusammenfindet, also in der Zeit zwischen 1813 und 1815. Zum Vorbild nehmen sie sich die "Freundschafts"- oder auch "Tugendbünde" des 18. Jahrhunderts. Der Autor untersucht nicht die Musik, sondern die Texte dieses Freundeskreises, die ja bekanntlich oftmals zur Vorlage für die Lieder Schuberts dienten. In ihnen spiegeln sich ästhetische und politische Tendenzen der Zeit, die Ideale der französischen Revolution, der Romantik und vor allem Freiheitsgedanken. Mit solchen Zielvorstellungen jedoch werden sie im Staat Metternichs zur argwöhnisch beobachteten, obskuren Splittergruppe. Die Kunst wird zu ihrer geistigen Heimat, zu ihrem "Poetischen Vaterland".

Das berühmte Schubertsche Lied von der Forelle etwa ist nur oberflächlich betrachtet ein harmloses Naturbild, sondern eher unbequemes Gedankengut. Der Liberale und Patriot Christian Friederich Daniel Schubart schreibt die Ballade von der geraubten Freiheit des Fisches in seiner Haft auf Festung Hohenasperg - hier sitzt er zur Disziplinierung ein. Auch staatsbürgerliche Tugenden und Vaterlandsliebe zu vermitteln ist ein Anliegen des Schubert-Kreises. 1817 erscheinen in Taschenbuchform erstmals die "Beyträge zur Bildung für Jünglinge". Diese Sammlung, in der ausschließlich Freunde Schuberts mit eigenen Texten vertreten sind, versucht gezielt politisch auf die Jugend einzuwirken. Im Vorwort heißt es:

"Geschichte ist die Lehrerinn männlicher bürgerlicher Tugend; wenn der Jüngling von den Männern ließt, die für ihr Vaterland lebten und starben, so lernt er fühlen, was Vaterland sey, und daß er auch Pflichten habe gegen das seine. Möchten diese Blätter etwas dazu beytragen, dieß Gefühl, das auch in unsern Tagen so Herrliches geleistet, in recht vielen Jünglingen lebendig und wirksam zu machen [...]."

1817 ist zwar das Jahr des Festes auf der Wartburg; ein solch vaterländischer Enthusiasmus aber wird nicht gern gesehen. So kommen die "Beyträge" trotz positiver Resonanz nur auf drei Ausgaben. Den Behörden ist dieses Blatt und die dahinter stehende Vereinigung schlicht suspekt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war die Zensur daran schuld, dass im Jahr der Karlsbader Beschlüsse 1819 keine weitere Ausgabe erscheint.

Mit seiner literaturwissenschaftlichen Untersuchung gelingt es Michael Kohlhäufl, das klischeebeladene Schubert-Bild weiter zu korrigieren. Einfach ist sein Buch jedoch nicht zu lesen, es ist dicht geschrieben und pro Seite mit viel Fußnotentext versehen. Eine anspruchsvolle Lektüre also, die aber die Mühe des Einlesens lohnt. Denn neben aufschlussreichen politischen Details erfährt der Leser viel über die Rolle Schuberts in der österreichischen Literatur- und Musikgeschichtsschreibung und über den politischen Gehalt der Texte von Satiren, Singspielen und Opern. Auch der großen Liederzyklen Wilhelm Müllers nimmt der Autor sich an. Sie dokumentieren Schuberts immer nüchterner werdendes Verhältnis zur Kunst, das schließlich in der Hoffnungslosigkeit der "Winterreise" mündet.


Von Markus Bruderreck, Herne
August 2000




Michael Kohlhäufl
Poetisches Vaterland. Dichtung und politisches Denken
im Freundeskreis Franz Schuberts.

Bärenreiter-Verlag, Kassel 1999.
Gebunden, 376 Seiten, 68 DM.
ISBN 3-7618-1474-7




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