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Modest Mussorgsky
Boris Godunow
Fassungen von 1869 und 1872


Die Geschichte der Oper Boris Godunow ist ebenso wirr wie die ihres historischen Titelhelden. Die Urfassung, entstanden 1869, mußte so manche Überarbeitung über sich ergehen lassen: Mussorgsky selbst erstellte 1872 eine grundlegend neue Fassung, in der er einen kompletten Akt neu hinzu komponierte - das Fehlen einer großen Frauenrolle drohte die Verbreitung der ursprünglichen Version zu verhindern. So entstand der "Polen-Akt", eine Episode, durch die die eigentliche Handlung deutlich andere Akzente bekommt. Später hat Rimsky-Korsakoff die angeblich zu spröde Partitur überarbeitet, und diese Fassung war lange Zeit weit verbreitet.

Selbst unter der Prämisse, Mussorgskys originales Klangbild unverfälscht wiedergeben zu wollen, stellt sich die Frage nach der "richtigen" Fassung. Die Version von 1869 besticht durch ihren zwingenden Aufbau, hier taumelt der Zar ohne Umschweife seinem Untergang entgegen. Von der Struktur her ist das moderner und radikaler als die spätere Fassung, die jedoch in den neu komponierten Passagen ganz wunderbare Musik enthält, darunter das Finale, in dem der Narr das Schicksal des russischen Volkes besingt - welcher Opernintendant will sich diesen Schluß nehmen lassen ?

PHILIPS hat eine ebenso einfache wie bestechende CD-Lösung gefunden: Dort wurden beide Fassungen komplett eingespielt und laden in einer 5-CD-Box zum Vergleich ein. Die Sänger sind, von zwei gewichtigen Ausnahmen abgesehen, identisch. Nur der Boris und sein Gegenspieler Grigory sind unterschiedlich besetzt. Nikolai Putilin ist in der Fassung von 1869 ein schlanker, fast nüchtern agierender Boris, Vladimir Vaneev (in der Fassung von 1872) ist im Vergleich sonorer, hat auch die größere Stimme, ist im Ausdruck aber konventioneller als sein Kollege. Beide sind dabei auf ihre Art überzeugend. Der Grigory ist in der 1869-Version mit Viktor Lutsuk deutlich leichter besetzt als mit Vladimir Galusin in der 1872-Fassung, und das macht im Hinblick auf die Dramaturgie des Stückes Sinn: In der frühen Fassung ist Grigory beinahe zufällig Auslöser von Godunows Wahnsinn, die Fassung ist stärker auf die innere Entwicklung der Titelfigur ausgerichtet. In der späteren Fassung dagegen entwickelt sich Grigory stärker zum Herausforderer des Zaren, die Rolle hat mehr Gewicht - und ist konsequent mit einer "größeren" Stimme besetzt als in der Urfassung.

Das Ensemble ist durchweg gut, dabei sind die einzelnen Rolen intelligent besetzt. Konstantin Pluzhnikov etwa ist als Shuisky mit schneidender Stimme ein wahrlich bösartiger Intrigant. Die Dramatik der Oper herauszuarbeiten war den Musikern ganz offensichtlich wichtiger als makellose Wunschkonzertästhetik zu produzieren.

Unter Valery Gergievs ruhelosem, dabei aber stets kontrolliertem Dirigat kehrt das ausgezeichnete Orchester die Schroffheiten der Partitur hervor, ohne ins rein Plakative zu verfallen. Wäre in dieser Interpretation jede der beiden Fassungen für sich schon ein Gewinn, so bereitet der Vergleich zusätzliches (freilich zeitraubendes) Vergnügen.

Von Stefan Schmöe



Boris Godunow Nikolai Putilin('69)
Vladimir Vaneev ('72)
Xenia Olga Trifonova
Fjodor Zlata Bulitschewa
Grigorij Viktor Lutsuk('69)
Vladimir Galusin ('72)
Pimen Nikolai Ohotnikov
Schuisky Konstantin Pluzhnikov
Schchelkalov Vassily Gerello
Waarlam Fjodor Kuznetsov
Missail Nikolai Gassiev
Wirtin Ljubov Sokolova
Narr Evgeny Akimov
Nikitich Grigory Karassev
Mityukha Evgeny Nikitin
Bojar Yuri Laptev
Stimme Andrei Karabanov
Marina Mnischek Olga Borodina
Chrustschow Yuri Schikalov
Lavitsky Andrei Karabanov
Chernikovsky Yuri Laptev

Chor und Orchester des
Kirov-Theaters, St. Petersburg

Dirigent: Valery Gergiev



aufgenommen im November 1997
5 CD
PHILIPS 462 230-0
© 1998 PHILIPS



Da capo al Fine

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