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Giuseppe Verdi
La Traviata


Eine bemerkenswerte Traviata

Von Thomas Tillmann

Eine besondere Konstellation führte im März 2006 vier Künstler in München in zwei Aufführungen von La Traviata zusammen: Zubin Mehta dirigierte zum letzten Mal in seiner Funktion als Generalmusikdirektor Verdis Oper, Anja Harteros sprang in der Titelpartie, Piotr Beczala als Alfredo ein, und Publikumsliebling Paolo Gavanelli war als Giorgio Germont besetzt. Grund genug für das Münchner Label FARAO classics, die beiden Vorstellungen mitzuschneiden und als "Live-Produktion" als SACD/CD herauszubringen.

Anja Harteros zählt zu den weltweit gefragtesten Sängerinnen ihres Faches und ist in der ganzen Welt zu hören (die Opernliebhaber in Nordrhein-Westfalen erinnern sich natürlich an ihre Festengagements in Gelsenkirchen und Bonn), aber eine besonders enge Beziehung pflegt sie natürlich mit der Bayerischen Staatsoper, an der sie nach dem Gewinn des "Cardiff Singer of the World 1999" unter der Leitung Mehtas als Agathe debütierte und bereits 2005 mit dem Titel einer Bayerischen Kammersängerin geehrt wurde. Und auch als Violetta enttäuschte sie die Erwartungen nicht: Insgeheim wird die Deutsche mit griechischen Wurzeln zwar aufgeatmet haben, als sie den ersten Akt geschafft hatte, denn das "assai brillante", das Verdi für das "Sempre libera" vorgeschrieben hat, konnte sie nicht hundertprozentig umsetzen, die Triller und die fallenden Skalen waren trotz Publikumsgetrampel nach der vernünftigerweise ohne Es-Stunt beendeten Szene nicht immer ganz exakt, das letzte Bisschen fehlte der Sopranistin zur Virtuosa, was sie aber in den Folgeakten allemal wettmachte, und damit ist sie mir zehnmal lieber als all die Koloratursoprane, die zwar einen brillanten ersten, aber fade zweite und dritte Akte als Violetta hinlegen. Anders als diese gewinnt Anja Harteros erst hier so richtig an Format und zwingt zum Zuhören - allein für ihre Ausführung der Phrase "Or amo Alfredo, e Dio lo cancello" lohnt sich der Kauf der Aufnahme, man bewundert die Verve ihres Singens im "Non sapete", den reichen Ton in "Dite alla giovine", vor allem auch in der tiefen Lage, in der andere lyrische Soprane (und als solchen sehe ich die Künstlerin nach wie vor an, auch wenn sie zunehmend Partien des jugendlich-dramatischen Fachs angeht und in einem Interview von Wagners Senta spricht) gern in Bedrängnis geraten. Sehr und vielleicht ein bisschen zu diskret fand ich ihr "Amami, Alfredo", aber Zubin Mehta teilte ihre Auffassung und unterstützte sie nach Kräften mit dem glänzend aufgelegten Staatsorchester. Wirklich herzzerreißend gelingen ihr Passagen wie das "Alfredo, Alfredo, di questo core", das "Addio del passato", von dem man gern auch die zweite Strophe gehört hätte, oder ihre Beiträge im "Parigi, o cara", wobei die Künstlerin nie vordergründig melodramatisch oder weinerlich wird, sondern sehr natürlich interpretiert.

Die größte Stärke des lyrischen Tenors von Piotr Beczala, der inzwischen ja beträchtliche Erfahrung mit der Partie des Alfredo hat, ist das hervorragende, unerschütterliche Legato und das sehr angenehme, nicht zu helle Timbre, und so kann er bei seinem Hausdebüt durchaus mit der Sopranistin mithalten, auch wenn er bei schnelleren Notenwerten und anderen Feinheiten noch etwas präziser hätte musizieren und noch mehr sensible Piani hätte beisteuern dürfen, man sich ein bisschen über den Kraftaufwand bei einigen Spitzentönen wundert (namentlich das C am ansonsten sehr entschlossen und mitreißend interpretierten "Oh mio rimorso!" ist kein Grund für übermäßige Begeisterung, und es gab ja zwei Mitschnitte, aus denen man auswählen konnte) und man spätestens beim "Questa donna connoscete?" den Eindruck bestätigt sieht, dass es nicht weniger Stimme für diese Rolle sein sollte.

Für Paolo Gavanellis Germont gilt ziemlich genau das, was ich nach seinem Auftreten als Kyoto in Mascagnis Iris in Amsterdam im Januar 2003 festgehalten habe: Auch in der Verdirolle überzeugt der 2005 zum Bayerischen Kammersänger Gekürte "mit einer breiten Palette von Ausdrucksvaleurs und dem vorbildlichen Auskosten der gesamten dynamischen Bandbreite, was nicht selbstverständlich in einem Fach ist, in dem gerne gebrüllt und pseudoexpressiv deklamiert wird, statt eine aus dem Musikalischen und dem Text entwickelte Charakterisierung der Figur anzustreben, wie der Italiener es so vorbildlich verstand". Und so freut man sich über den reifen, aber völlig intakten Ton voller Autorität, die große Kultur seines Legatos, die Leichtigkeit der Tonproduktion und die vollendete Atemkontrolle, die mezza-voce-Studie, die er im "Di Provenza il mar" liefert, die Vielschichtigkeit seines Portraits.

Kompetent sind die Interpreten der kleineren Partien, Heike Grötzinger etwa irritiert zwar zunächst mit reifem, etwas klirrend-metallischen Ton, aber sie macht viel aus ihren Einwürfen im Zigeunerinnenchor, Helena Jungwirth war schon in der berühmten Kleiber-Aufnahme mit Ileana Cotrubas, Plácido Domingo und Sherrill Milnes aus München als Annina dabei, Gerhard Auer, der 2006 den Grenvil gab, sang 1977 in einem Live-Mitschnitt des Werkes unter Kleiber aus dem Nationaltheater den Marchese.

Zubin Mehta kennt Verdis Oper natürlich bestens, nicht nur nach der Gesamtaufnahme mit Kiri Te Kanawa, Alfredo Kraus und Dmitri Hvorostovsky in den neunziger Jahren, er war auch 2000 der musikalische Leiter von La Traviata in Paris, jener Fernsehaufzeichnung und Direktübertragung mit Eteri Gvazava, José Cura und Rolando Panerai, die entsprechend dem Zeitrahmen und den Orten der Originalhandlung rekonstruiert wurde. Erwartungsgemäß liebt er kräftige Farben und verzichtet auf allzu filigrane Nuancen, aber sein Dirigat ist in jedem Moment glutvoll und werkdienlich, mit dem nötigen Schmiss an den richtigen Stellen, aber auch der gebotenen Zurückhaltung an anderen.

Mein Fazit: Die Rezeptionsgeschichte des Werkes wird wegen dieser verdienstvollen "Live-Produktion" sicher nicht umgeschrieben werden müssen, aber sie ist doch eine der besseren im Katalog, zweifellos, allerdings mit 32 Euro bei Direktbezug von der Herstellerfirma auch keine ganz billige (Preisbewusstere können die Einspielung oder auch nur einige Tracks aus ihr bei iTunes als Download bekommen) - immerhin, für sein Geld bekommt man einen (kurzen) Einführungsartikel von Peter Heilker, Biografien der Protagonisten, eine Inhaltsangabe in deutscher und englischer Sprache sowie ein dreisprachiges Libretto und eine aufwändige Verpackung. Und so darf man gespannt sein, wie sich Anja Harteros bei ihrem nächsten Rollendebüt behaupten wird: In gut zwei Wochen gibt sie zum ersten Mal die Leonora in Verdis Trovatore in der Kölner Philharmonie - nach Angaben der Künstlerin eine Traumrolle.


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Cover

Giuseppe Verdi
La Traviata

Oper in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave

Anja Harteros - Violetta Valéry
Heike Grötzinger - Flora Bervoix
Helena Jungwirth - Annina
Piotr Beczala - Alfredo Germont
Paolo Gavanelli - Giorgio Germont
Kevin Conners - Gastone
Steven Humes - Barone Douphol
Rüdiger Trebes - Marchese d'Obigny
Gerhard Auer - Dottore Grenvil
Maximilian Schmitt - Giuseppe
Dieter Miserre - Domestico di Flora
Pawel Czekala - Commissionario

Chor der Bayerischen Staatsoper
Choreinstudierung: Andrés Maspéro

Bayerisches Staatsorchester
Leitung: Zubin Mehta


FARAO classics S 108070
2 CDs, Gesamtspielzeit 121.24 Minuten
Aufnahme: Live-Produktion aus dem Münchner Nationaltheater, 6. und 9. März 2006

Weitere Informationen unter:
www.farao-classics.de



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