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Richard Wagner
Tristan und Isolde


Domingos Zauber, Stemmes Glanz

Von Stefan Schmöe

Opernneuaufnahmen, die sich neben den „großen“ Aufnahmen der Vergangenheit behaupten können, sind ein seltener Glücksfall. Gerade Neueinspielungen der Werke Richard Wagners hatten in der jüngeren Vergangenheit meist eher dokumentarischen Rang denn absolute künstlerische Bedeutung. Mit der vorliegenden Einspielung von Tristan und Isolde knüpft die EMI an ihre große Tradition von bahnbrechenden Aufnahmen an, die in den Abbey Road Studios entstanden sind, und das in einer Umbruchphase des Musikmarktes, in der Studioproduktionen von Opern aus finanziellen Gründen fast nicht mehr möglich sind. Bei allem Charme der Unmittelbarkeit, den gute Live-Mitschnitte haben können, spricht die Sorgfalt im Detail (und im Fall des Tristan der auf der Bühne kaum zu kaschierende Verschleiß der Hauptdarsteller im Verlauf dieses Mammutwerkes) klar für das Studioprinzip.

Nicht ohne Grund ist Placido Domingo dem Tristan auf der Bühne aus dem Weg gegangen. Der gute Wille vieler Tristan-Darsteller, die Rolle zu singen und nicht nur mit Geschrei zu stemmen, scheitert regelmäßig sang- und klanglos im wahrsten Sinne des Wortes. Domingo demonstriert, wie es – unter Studiobedingungen – auch anders geht. Er singt die Partie mit überlegener Phrasierung aus, und mit seiner überragenden Technik behalten die Töne bei aller Expressivität (die Domingo keineswegs schuldig bleibt) immer einen „schönen“ Klang. Konnte man solche Gesangskultur bei Domingo noch erwarten, so verblüfft die Jugendlichkeit der männlich-baritonal eingefärbten Stimme, die auch unter diesem Gesichtspunkt mit der jüngeren Konkurrenz nicht nur mithalten, sondern diese an die Wand singen kann. Einziges Manko ist Domingos Mühe mit der deutschen Sprache. Zwar ist der Akzent weniger störend als in seinen früheren Wagner-Einspielungen, aber bei schnellen Stellen singt er gerne über die kleinen Notenwerten rhythmisch sehr frei hinweg.

Steht Domingo eher am Ende seiner Jahrhundert-Karriere (die er mit diesem Tristan einmal mehr krönt), so hat sich Nina Stemme gerade nach und nach das hochdramatische Fach erobert und im Sommer ihre erste Bayreuth-Isolde gesungen (unsere Rezension), verkörpert also eine andere Sängergeneration, deren erster Stern sie werden könnte. Ihre Isolde, darin Domingo (fast) ebenbürtig, ist immer Klang, auch sie setzt in den hochexpressiven Stellen die Tragfähigkeit der warm abgedunkelten Stimme (die auch den nötigen Glanz besitzt) als Ausdrucksmittel ein. Im Duett des zweiten Aktes singt Domingo noch eine Spur runder, überlegener in der Gestaltung der Gesangslinie – da zeigt sich auch die riesige Erfahrung. Überlegen ist ihm Nina Stemme in der Genauigkeit, mit der sie jeden noch so kurzen Ton singt, und in der Leichtigkeit und Ausgewogenheit, mit der sie die kleinen Notenwerte nicht als „Füllmaterial“, sondern als wichtigen Bestandteil der musikalischen Phrase interpretiert. Mit ihrer perfekten Aussprache kann die Schwedin Bedeutungsnuancen in den Text hineinlegen, die Domingo verschlossen bleiben.

Dieses Paar, das durchaus die Bezeichnung „Traumpaar“ verdient, wird auf höchstem Niveau ergänzt durch René Pape als König Marke. Die Stimme ist wunderbar sonor bis in die höchste Lage, die Pape bruchlos erreicht, und gleichzeitig sehr wandlungs- und nuancierungsfähig. Pape gibt dem König damit gleichermaßen Würde von Amt und Person und Trauer über den Verrat, und so ist der Schluss des zweiten Aufzugs mit dem großen Monolog Markes – der bei schlechten Sängern schnell zum „Durchhänger“ einer Aufführung wird - ein (weiterer) Höhepunkt dieser Aufnahme.

Vielleicht liegt es an der Brillanz von Domingo, Stemme und Pape, dass die Brangäne von Mihoko Fujimura etwas neutral klingt. Die Partie ist durchweg sauber gesungen, und dass durch die präsente, aber im Vergleich zu Nina Stemme leichtere Stimme den Abstand zur Isolde wahrt, ist dramaturgisch sinnvoll. Problematischer ist der Kurwenal von Olaf Bär. Man hört dem Sänger an der überaus sorgfältigen Aussprache seine große Erfahrung mit dem Kunstlied an. Jeder Buchstabe ist wohlgeformt, und die berührende Wehmut, mit der Bär Kurwenals letzte seiner Worte im Sterben singt, versöhnen mit mancher weniger geglückten Passage. Bär hat zwar die Technik und die Höhe für die Partie, aber (und das unterscheidet ihn von den anderen Sängern) nicht die „heldische“ Kraft, mit der er allein durch Klang und Klangfärbung die Rolle gestalten könnte, sondern er muss durch die Art der Aussprache „nachbessern“. Die Verhöhnung Isoldes im ersten Aufzug etwa verliert dadurch an der urwüchsigen Gewalt, die sie haben müsste; ähnliches lässt sich auch im dritten Aufzug festmachen.

Luxeriös besetzt ist der junge Seemann mit Rolando Villanzón, der trotzdem ein Fremdkörper bleibt: Zu bedeutungsschwer ist die Artikulation, zu nachdrücklich sind die Betonungen für die kleine Rolle, die im Kontrast zum schicksalsschweren Leiden Tristans und Isoldens mehr volkstümliche Einfachheit behalten müsste. Jared Holt (Melot) Ian Bostridge (Hirt) und Matthew Rose (Steuermann) runden das Ensemble überzeugend ab.

Dirigent Antonio Pappano ist in Bayreuth, dem vermeintlichen Mittelpunkt des Wagnertums, mit einem soliden, aber keineswegs außerordentlichen Lohengrin nicht übermäßig glücklich geworden. Nach diesem Tristan allerdings wäre den Festspielen zu wünschen, dass Pappano einen neuen Anlauf unternähme, den „Grünen Hügel“ zu stürmen. Mit dem vorzüglichen Orchestra of the Royal Opera House, Covent Garden (herausragend das Englisch Horn von Alan Garner zu Beginn des dritten Aufzugs) gelingt ihm das Kunststück, einen ungeheuren orchestralen Sog zu erzeugen, ohne seinem Sänger-Starensemble damit die Wirkung zu nehmen – vielmehr sind die Stimmen hervorragend in den Orchesterklang eingebettet, und Sänger und Orchester geben sich wechselseitig die musikalischen Impulse. Pappano kostet Wagners überaus raffinierte Instrumentation aus und schafft allein durch diese Klanglichkeit einen imaginären Spielraum, in dem sich das Drama auch ohne Bühne entfaltet. Er denkt in großen Phrasen und hat stets die musikalische Entwicklung und ihren Zielpunkt im Sinn. Dadurch stellt sich ein starker „Drive“ nach vorne ein, ohne dass die Musik je eilen würde. Nie fallen einzelne Details heraus, alles ist in den großen Bogen eingebaut (auch wenn dadurch manches weniger prägnant klingt als in anderen Einspielungen).

So bewegen sich die genannten Einschränkungen und Kritikpunkte auf einem Niveau, das die meisten Operneinspielungen (von Live-Aufführungen, insbesondere des Tristan, ganz zu schweigen) nicht ansatzweise erreichen. Da freut man sich besonders, dass die EMI als Zugabe zu den drei Audio-CDs gleich noch einmal die komplette Aufnahme als DVD in die Box hinzulegt – so kann, wer die entsprechende technische Ausstattung hat, im Homekino-Sound hören und dazu auf dem Fernseher das Libretto verfolgen. Üppig mit vielen Abbildungen ist auch das Booklet ausgestattet. So gibt es (Kostenargumente lassen wir außen vor) für Wagner-Liebhaber eigentlich nur einen Grund, den Schuber im Regal stehen zu lassen: Das wahrhaft scheußliche, jede Kitsch-Hürde einrennende Cover. Das allerdings sollte man für Domingo, Stemme & Co. ruhig in Kauf nehmen.


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Cover

Richard Wagner
Tristan und Isolde

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

Tristan - Placido Domingo
Isolde - Nina Stemme
Brangäne - Mihoko Fujimori
König Marke - René Pape
Kurwenal - Olaf Bär
Melot - Jared Holt
Ein Hirt - Ian Bostridge
Ein Steuermann - Matthew Rose
Junger Seemann - Rolando Villanzón


The Royal Opera Chorus,
Covent Garden
(Einstud.: Renato Balsadonna)

Orchestra of the
Royal Opera House, Covent Garden

Dirigent: Antonio Pappano



Aufnahme: 23.11.04 -1.9.05
Abbey Road Studios, London


3 CD, 1 DVD (nur Audio)
EMI 7243 5 58006 2 6

Weitere Informationen unter:
www.emiclassics.com
www.tristanundisolde.org



Da capo al Fine
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