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Ein eher lässliches Dokument aus der italienischen ProvinzDie im Dezember 1830 uraufgeführte Anna Bolena nimmt eine besondere Stellung im Schaffen Gaetano Donizettis ein, markiert sie doch seinen gesamtitalienischen wie europäischen Durchbruch. Bis heute zählt dieses Werk zu den bekannteren seiner tragischen Opern, nicht zuletzt wegen der ersten der großen Wahnsinnsszenen für Sopran (damals von der legendären Giuditta Pasta aus der Taufe gehoben), die im Hinblick auf Umfang, innere Gliederung, Intensität und Gefühlsskala außerordentlich geraten ist und damit natürlich nach einer kompetenten, expressiven Interpretin verlangt. Vergessen wir nicht: Anne Boleyn ist in Romanis Libretto eine wahrhaft tragische Figur - zutiefst ungerecht behandelt, immens leidend, doch stets würdevoll und erhaben -, eine erwachsene Frau und Königin, kein junges Ding, deren erste Liebe gerade zerbrochen ist, weil die beste Freundin ihr den Liebsten ausgespannt hat! Auch Donizetti hat hier keine leichte Koloraturpartie geschrieben, sondern eine wirklich dramatische, erstaunlich tief liegende Rolle, die in den Duetten und Ensembles häufig tiefer notiert ist als etwa Giovannas oder Percys Part. Dimitra Theodossiou macht zweifellos Karriere in diesen Tagen, namentlich im dramatischen Belcantofach (in Kassel etwa hatte sie einen Riesenerfolg als Norma - die Ratinger Firma ARS Produktion wollte den Mitschnitt längst herausgebracht haben), aber ein soprano dramatico d'agilità ist sie beileibe nicht: Der hübschen, aber kleinen Stimme der jungen Griechin fehlt es eklatant an Durchschlagskraft, vor allem aber an Ausdrucksnuancen und vokalen Farben, um in einer so exponierten Partie reüssieren zu können. Natürlich macht sie Effekt in den lyrischen Passagen der erwähnten Schlussszene, aber nach kurzer Zeit wirken die Demonstrationen ihrer Pianotechnik fad und manieriert und sind mitunter von introvertiertem Geflüster, Gesäusel oder auch Markieren nicht weit entfernt - vielleicht hätte sie zur Vorbereitung weniger Gruberova (die technisch weitaus souveräner ist, der Partie freilich auch vieles schuldig bleibt), sondern Maria Callas, Leyla Gencer (deren Stimme auch nicht die größte und schönste war) oder Renata Scotto (bei allen Einschränkungen, gewiss) hören sollen. Auch mit den häufig nach oben punktierten Passagen - ein Zeichen dafür, dass die Sängerin um die mindere Qualität ihrer eher blassen, reichlich hellen unteren Mittellage und der flachen Tiefe weiß, immerhin - und den häufig eher das Wollen als das Können belegenden interpolierten Spitzentönen wird man nicht recht froh (den Schmiss gegen Ende von "Coppia iniqua" hätte man ersetzen müssen, es gab doch sicher nicht nur eine Vorstellung in Bergamo!). Und auch dies muss gesagt werden: Da die technisch erstaunlich gute Einspielung nicht gerade im Lowprice-Segment angeboten wird, hätte man sich im Booklet doch anstatt einiger allgemeiner Worte zum Werk ein paar Bemerkungen zum Werbeslogan "First complete recording" gewünscht, dessen Richtigkeit man nach einem Vergleich mit der Sutherland-Aufnahme bezweifeln mag. Und hätte nicht auch das von Phillip Gossett ins Gespräch gebrachte, im neuesten Ricordi-Klavierauszug abgedruckte Duett Anna - Percy in diese Aufnahme gehört, mit dem Donizetti das konventionellere, hier gegebene ersetzte (nachzuhören auf der Opera-Rara-CD ORR 207, "Donizetti Scenes and Overtures", interpretiert von Nelly Miricioiu und Rockwell Blake)? Wie so häufig beklagt man auch das Fehlen von Biografien der nicht jedem bekannten Beteiligten und eine Vorstellung der Kollektive mit ihren phantasievollen Namen. Abschließend will ich nicht verschweigen, dass ich auch nach mehrmaligem Anhören die Frage nicht aus dem Kopf bekam, ob diese brave Aufführung aus der italienischen Provinz wirklich unbedingt auf CDs hätte gepresst werden müssen ... Von Thomas Tillmann |
Gaetano Donizetti: Anna Bolena Oper in zwei Akten Libretto von Felice Romani
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