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Vincenzo Bellini
Norma


Grace ist Norma!

Von Thomas Tillmann


Echte Stimmenfans werden die bei zwei Aufführungen im Palazzo Ducale in Martina Franca im Jahre 1977 mitgeschnittene (und nun anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums dieser bedeutenden Veranstaltung wieder herausgebrachte) Norma schon deswegen unverzüglich kaufen, weil sie hören wollen, wie die große Grace Bumbry mit der gefürchteten Titelpartie zurecht kommt, die übrigens nach wie vor mit großem Erfolg in der ganzen Welt mit Recitals auftritt (so am 14. August 2005 mit ihrer "Hommage an Lotte Lehmann" während des Schleswig-Holstein Musik-Festivals in Kiel, aber auch am 8. April 2005 bei der Blutspendegala /Rhythmus im Blut/ in der Tonhalle in Düsseldorf, bei der sie Cole-Porter-Melodien singt, aber auch ausschnittsweise als Aida, Dalida, Leonora di Guzman und Bess zu erleben sein wird). Sergio Segalini, der heutige Künstlerische Leiter des Festivals, bezeichnet in seinen Einleitungsworten Grace Bumbry als "echten Falconsopran", was natürlich Unsinn ist, denn die Bezeichnung Falcon, die auf die 1897 gestorbene Marie Cornélie Falcon zurückgeht, ist nichts anderes als eine Fachbegriff für einen französischen hochdramatischen Sopran. Bumbrys Norma lebt von der sprühenden Persönlichkeit und dem Charisma einer wirklichen Primadonna, was keineswegs heißt, dass sie die Partie den eigenen vokalen Mitteln über Gebühr anbequemen oder gar mogeln würde - sie hat tatsächlich alle Töne und schlägt sich auch in den verzierten Passagen achtbar (die Zweiunddreißigstel etwa im "Casta diva" haben andere auch nicht so gesungen, wie sie notiert sind, und fallende Skalen sind auch für Spezialistinnen kein Spaziergang), ohne dass man bereute, dass sie sich trotz aller Präsenz nicht an weitere Belcantopartien gewagt hat. Dank ihrer Mezzovergangenheit klingt die sofort wieder zu erkennende Stimme auch in der Mittellage und Tiefe vollmundig und rund, in der viele Kolleginnen so sehr an Grenzen stoßen, was nicht zuletzt Passagen wie "In mia man" sehr zugute kommt. Sicher gibt es auch einige gefährdete hohe Töne im Piano, die freilich nicht zuletzt die Risikobereitschaft der Amerikanerin belegen, aber die vielen hohen Cs im Forte kommen alle ohne Probleme. Interpretatorisch indes malt die Diva mit einem ziemlich groben Pinsel und gibt eine Druidenpriesterin, mit der man in erster Linie keinen Streit haben möchte, der man den Mord der Kinder durchaus zutraut und deren finale Opferbereitschaft nicht nur Pollione sehr erstaunt.

Der große Belcanto- und Stimmenexperte Rodolfo Celletti hatte sich damals dafür stark gemacht, eine den Vorstellungen Bellinis möglichst genau entsprechende Besetzung aufzubieten, bei der die Partie der jungfräulichen Adalgisa eben nicht von einem dramatischen Mezzosopran gesungen wird, was den dramaturgisch zweifellos problematischen Eindruck erwecken könnte, sie sei reifer und erfahrener als Norma in ihrem exponierten Amt und als Mutter zweier Kinder, sondern von einem lyrischen Sopran. Die Bezeichnung "1821 original edition for two sopranos" indes ist irreführend, denn wir hören ja keine andere Fassung als die gewohnte, sondern den bekannten Part nur von einer anderen Stimme interpretiert, wobei man mit Erstaunen feststellt, wie dunkel, kraftvoll und mezzoartig der Sopran von Lella Cuberli doch klingt - beinahe hat man das Gefühl, dass sie sich in den tiefer gelegenen Passagen wohler als in den höheren fühlt, zumal mancher Spitzenton ein bisschen ängstlich angegangen wird und auch ein wenig zittert, und so viel unschuldiger und jünger als Norma wirken ihre Beiträge wahrlich nicht (dass sie trotz allem einen viel besseren Eindruck hinterlässt als etwa Eva Mei, die in ähnlicher Konstellation an der Seite von Jane Eaglen bei einem weiteren, auch auf Tonträgern verewigten Experiment dieser Art mit kläglich dünnem Ton scheiterte, muss festgehalten werden).

Ich gebe zu, dass ich ein großer Fan des immer noch in Hauptrollen auftretenden Giuseppe Giacomini und seinem wahrlich baritonal dunklen, außerordentlich virilen, wunderbar strömenden und immens legatofähigen, wirklich dramatischen Tenor bin, der hervorragend zur Partie des Pollione passt, auch wenn man registriert, dass er um die notierten C in alto einen Bogen macht, was man angesichts einiger anderer prunkvoller Acuti und der beschriebenen Meriten in diesem Fall gern in Kauf nimmt. Dass er seinen Schlusston im ersten Finale länger als die Diva gehalten hat, wird zu Diskussionen in der Pause geführt haben ...

Einmal mehr geht man in die Knie vor dem voluminösen, reichen, wenn auch etwas behäbigen Bass von Robert Lloyd, der dem Oroveso große Autorität und Strenge verleiht. Der Coro Amici della Polifonia e Voci per la Musica scheint mir indes ein engagiertes, nicht nur frische Stimmen in seinen Reihen vereinigendes Laienensemble zu sein, das sich mit einigem Erfolg, aber auch hörbaren Grenzen dem nicht leichten Part stellt und auch einzelne Töne in weiser Voraussicht weglässt (vermutlich war das Geld in Martina Franca nach dem Engagement der Solisten aufgebraucht). Michael Halasz' derbes, allzu breites und stilistisch ignorantes Dirigat, seine viel zu sentimentale Lesart der Partitur und sein allzu bereitwilliges Eingehen auf die Tempowünsche der Solisten sind nicht dazu angetan, ihm einen prominenten Platz in der Rezeptionsgeschichte dieser wunderbaren Oper zu sichern, auch wenn man ihm zugute halten muss, dass er mit der Orchestra Sinfonica di Bari, der stellenweise einige Spielfehler unterläuft, auch keinen ersten Klangkörper zur Verfügung hatte. Unter seiner Leitung droht die Musik manches Mal geradezu ins Stocken zu geraten - die Handlung voranzutreiben und so echte Spannung zu erzeugen, ist dem Ungarn nicht gegeben.

Der Käufer der CD sucht vergebens nach Fotos der Produktion (man hätte doch gern gewusst, was für ein Kostüm Grace damals getragen hat, die einen vom Cover aus geheimnisvoll fixiert) oder nach Biografien der Mitwirkenden, was mich mehr stört als die Klangqualität, die so schlecht nicht ist und keinerlei Entschuldigung seitens der Direktion bedurft hätte (warum aber wurde der Beifall nach "Sì, fino all'ore" herausgeschnitten, wenn doch sonst Publikumsreaktionen mitgeliefert werden?). Die Firma Dynamic würde indes sicher nicht nur dem Rezensenten eine Freude machen, wenn sie sich nach weiteren Live-Mitschnitten der großen (Mezzo-)Sopranistin umtut, die beispielsweise auch als Abigaille oder Turandot an guten Abenden großen Eindruck gemacht haben soll.


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Cover

Vincenzo Bellini
Norma

Tragedia lirica von Felice Romani
Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache

Grace Melzia Bumbry - Norma
Lella Cuberli - Adalgisa
Giuseppe Giacobini - Pollione
Robert Lloyd - Oroveso
Eugenia Cardano - Clotilde
Paolo Todisco - Flavio

Orchestra Sinfonica di Bari
Coro Amici della Polifonia e Voci per la Musica
Dirigent: Michael Halasz

Aufnahme: Martina Franca, 12. und 14. August 1977

Dynamic CDS 469/1-2 (2CDs)



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