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WDR – The Cologne Broadcasts

Meister mit Mission
Frühe WDR-Aufnahmen von Wilhelm Kempff und Shura Cherkassky


Von Markus Bruderreck


„Sie haben nicht wie ein Pianist gespielt, sondern wie ein Mensch.“ Ein größeres Kompliment hätte Jean Sibelius dem Pianisten Wilhelm Kempff wohl kaum machen können. Diese Worte sollen 1957 gefallen sein, als Kempff zu dem damals 92-jährigen Sibelius gereist war, um ihm vorzuspielen. Technische Probleme hinter sich zu lassen und ganz die Persönlichkeit in der Musik zum Ausdruck zu bringen, darum bemühen sich viele Pianisten ein Leben lang vergebens. Wie es gelingen kann, hört man zum Beispiel in Kempffs Interpretation des Fantasia-Impromptus cis-moll von Frédéric Chopin.

Wilhelm Kempff und Shura Cherkassky haben auch im WDR, der noch bis 1956 NWDR hieß, ihre Spuren hinterlassen. Das Münchener Label „Orfeo“ hat nun Fundstücke aus dem WDR-Archiv gesichert. Unter dem Titel „The Cologne Broadcasts“ werden sie jetzt zum ersten Mal veröffentlicht (Zu der Reihe gehört zudem eine CD mit Regers Klavierkonzert und Werken von Schubert und Schumann, die Eduard Ermann mit dem Kölner Rundfunk-Symphonieorchester unter Hans Rosbaud eingespielt hat).
Wilhelm Kempff ist gleich mit einer Doppel-CD vertreten. Darauf sind zum einen Stücke zu finden, die er recht selten eingespielt hat, Werke von Chopin etwa, die Kempff schlicht, aber dennoch ungemein nuancenreich interpretiert. Zum anderen findet sich unter diesen Aufnahmen aus den Jahren 1956 und 1960 auch Altbekanntes aus dem Repertoire, das der Pianist mehrfach aufgenommen hat, etwa Klaviermusik von Johannes Brahms.

Wilhelm Kempff war ein Künstler, dessen Selbstverständnis weit über das eines Pianisten hinausging. Ein Mann mit einer Mission sei er, hat er in seinen späten Jahren betont. Frühe Prägungen erhielt der 1895 in Jüterbog geborene Kempff vor allem in Potsdam. Hier gab er mit 11 Jahren sein erstes Konzert, hier erhielt sein Vater eine Kantorenstelle an der Nikolaikirche. Kempffs Repertoire war sehr weit gefächert. Mit den Werken von Mozart, Schumann, Brahms und vor allem auch Beethoven hat er sich ein Leben lang intensiv auseinandergesetzt. Wer bei Kempff allerdings bleierne deutsche Schwermut sucht, liegt falsch. Seine Interpretationen sind stetes leichtfüßig, pointiert, voller Esprit und Natürlichkeit. Dabei geht die Präzision nicht verloren. Als Bonus findet sich bei den WDR-Aufnahmen auch eine Einspielung aus dem Jahr 1960, die nur noch in Form einer einzigen Kopie existiert. Damals spielte Wilhelm Kempff zusammen mit Hedi Gigler Franz Schuberts großer C-Dur-Fantasie für Violine und Klavier ein: Ein überaus hörenswertes, dazu seltenes Dokument.

Wilhelm Kempff hat zeitlebens systematisch mit Plattenfirmen zusammengearbeitet. Bei Shura Cherkassky, der die Klaviermusik nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls entscheidend prägte, liegt der Fall anders. Abgesehen von wenigen Ausnahmen entstanden Cherkasskys Aufnahmen eher sporadisch. Wie bei Kempff waren seine Repertoireinteressen breit gestreut, gingen jedoch in eine andere Richtung. Bis Karlheinz Stockhausen und Olivier Messiaen reichte Cherkasskys musikalischer Horizont. Vor allem aber virtuose Literatur war seine Domäne. Zeitlebens spielte er Paraphrasen und wirkungsvolle Zugaben, mit denen er auch im Konzert nie geizte. Nicht selten sprühten diese brillanten Stücke virtuose Funken. Auf der Cherkassky-CD ist nicht nur das Capriccio von Felix Mendelssohn-Bartholdy hierfür ein prägnanter Beweis, sondern auch das Paraphrasenungetüm mit Namen „Don Juan“ von Liszt.

Auf den WDR-Aufnahmen von 1951 und 1953 erlebt man allerdings einen recht untypischen Shura Cherkassky. Häufig konnte man in den Konzerten dieses Pianisten auch mit seinen schwachen Seiten Bekanntschaft machen. Oft war er sprunghaft oder unangemessen spontan. Nichts von alledem ist hier zu hören. Die Virtuosität, wie sie Cherkassky zu Beginn der Fünfziger Jahre aus den USA mitbrachte, muss für den deutschen Konzertgänger Neuland gewesen sein. In einer Kritik zum 5. Meisterkonzert der Saison 1952/53, die in der Kölner Rundschau erschien, hieß es: „Geradezu ungestüm drängte man zum Podium, um den Meister in den reichlich gespendeten Zugaben nicht nur zu hören, sondern auch aus nächster Nähe zu betrachten.“ So intensiv war das Faszinosum Cherkassky, von der diese „Orfeo“-Aufnahme eine Vorstellung geben kann.

Neue Facetten von Shura Cherkassky und Wilhelm Kempff also halten die jetzt bei Orfeo erschienenen WDR-Aufnahmen bereit. Aber auch für Hörer, die den Pianisten zum ersten Mal begegnen, sind sie interessant. Die ausführlichen Textbeiträge für die Booklets stammen aus erster Hand: Ingo Harden hat sie verfasst, der bereits zur Mitte der Fünfziger Jahre zu den Mitarbeitern des NWDR zählte.

 
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Robert Schumann
Fantasie C-Dur op. 17

Ludwig van Beethoven
Sonate Nr. 32 c-Moll op. 111

Johannes Brahms
Klavierstücke op. 118

Frédéric Chopin
Valse op. 64, 2
Berceuse op. 57
Fantasia-Impromptu op. posth. 66
Impromptus op. 29, 36 und 51

Franz Schubert
Fantasie für Klavier und Violine D 934
(mit Hedi Gigler)

Wilhelm Kempff, Klavier

Aufnahmen:
20. Oktober 1956 und 24. März 1960

WDR/Orfeo C 721 072 I
LC 8175



Frédéric Chopin:
Polonaise fis-Moll op. 44
Ballade f-Moll op. 52
Scherzo E-Dur op. 54

Johannes Brahms
Paganini-Variationen a-Moll op. 35

Franz Liszt
Reminiscences de Don Juan

Felix Mendelssohn-Bartholdy
Capriccio e-Moll op. 16 Nr. 2

Shura Cherkassky, Klavier

Aufnahmen:
21. Januar 1951 und 5. März 1953

WDR/Orfeo C 720 071 B
LC 8175


Weitere Informationen unter:
www.orfeo-international.com




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