Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage CDs
Klassik
Zur OMM-Homepage Rock-Pop-Startseite E-Mail Impressum



Gustav Mahler:

Lieder aus Des Knaben Wunderhorn
Kindertotenlieder
Rückert-Lieder




Die Klangfarbe der Moderne

Von Stefan Schmöe

Am 29. Januar 1905 veranstaltete die „Vereinigung schaffender Tonkünstler“ in Wien einen „Lieder-Abend mit Orchester“, bei dem ausschließlich Kompositionen Gustav Mahlers zur Aufführung kamen. Die Zusammenstellung von sieben Liedern aus Des Knaben Wunderhorn, den Kindertotenliedern (nach Texten von Friedrich Rückert) und vier weitern Rückert-Liedern war aber weniger eine „Leistungsschau“ des auch seinerzeit höchst populären Dirigenten und Komponisten, sondern in der Abfolge der Lieder zeigt sich deutlich eine Bruchstelle zwischen Romantik und Moderne: Weisen die Wunderhorn-Lieder in ihrer (allerdings nur scheinbaren) Naivität noch auf eine gerade vergehende Epoche zurück, so sprengen die Kindertotenlieder als verkappte kleine Symphonie den Rahmen des Kunstliedes, und die komplexeren Rückert-Lieder markieren textlich wie musikalisch den Schlusspunkt einer Epoche - „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ heißt es im dritten dieser vier Lieder, und das darf man durchaus auf diese kaum mehr greifbare Musik beziehen.

Angesichts dieser künstlerischen Idee ist es keineswegs Nostalgie, wenn Kent Nagano, das Hallè-Orchestra aus Manchester und Dietrich Henschel exakt das Programm dieses denkwürdigen Abends eingespielt haben. Den hohen Anspruch der Aufnahme dokumentiert bereits der kurze, aber sehr lesenswerte Essay von Donald Mitchell im Booklet. Wichtiger ist allerdings, dass die Musiker diesen Anspruch auf musikalischer Ebene in exzellenter Weise eingelöst haben. Nagano wählt einen sehr stark kammermusikalisch geprägten Zugang und vermeidet jeden „dicken“ Klang (das entspricht den Vorgaben Mahlers, der sein Programm im ganz bewusst mit kleiner Besetzung im Kleinen Musikvereinssaal aufführen ließ). Die unterschiedlichen Klangfarben der einzelnen Lieder arbeitet er ausgezeichnet heraus. Er bevorzugt durchweg flotte, fließende Tempi, lässt das (sehr gute) Orchester kräftig akzentuiert spielen, vermeidet aber durchweg das schwere Pathos, dem viele andere Interpreten erliegen.

Die Singstimme fügt sich als zusätzliche Klangfarbe in den Orchestersatz ein. Der Solist wird nicht einfach nur begleitet, sondern ist maßgeblicher Teil des Gesamtklangs. Das wird möglich, weil Dietrich Henschel nuanciert auf kleinste Wendungen des Textes und der Partitur reagieren kann. Oft erinnert er in dieser Ausdrucksvielfalt, aber auch in der Intelligenz seines Singens an Dietrich Fischer-Dieskau. Dessen überragende Technik besitzt er zwar nicht (der Übergang in die hohe Lage ist häufig noch brüchig), aber seine Stimme ist robuster, „kerniger“, und das passt hervorragend zum eher herben Grundton, den Nagano und das Orchester anschlagen.

Henschel kann die Rollenwechsel in den dialoghaften Liedern (z.B. Trost im Unglück sehr genau charakterisieren, und er dosiert Ironie etwa in der Fischpredigt so genau, dass das Lied exakt in der Schwebe zwischen Ernst und Unernst bleibt. Ähnlich sicher geht er mit den volkstümlichen Elementen um, und auch darin ist ihm Nagano der ideale Partner, der diese Volkstümlichkeit zwar aufgreift, aber nicht überzeichnet. Gerade aus der Spannung zwischen schlichter Melodik und der komplexen Orchesterbehandlung Mahlers, die den modernen „Überbau“ bildet, gewinnt ein Lied wie das Rheinlegendchen („Bald gras' ich am Neckar...“) in dieser Aufnahme ein aufregend irritierendes Moment.

Henschel hat für Teldec eine packende, sehr dramatische Winterreise aufgenommen, Naganos Einspielung von Mahlers 3. Symphonie ist mit dem „Toblacher Komponierhäuschen“ für ausgezeichnet worden. Man darf dankbar sein, dass das Label diese beiden herausragenden Künstler jetzt zusammengebracht hat. Herausgekommen ist eine mitreißende, konzeptionell wie musikalisch absolut überzeugende Aufnahme.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
Cover



Gustav Mahler

Lieder aus Des Knaben Wunderhorn

1. Lied des Verfolgten im Turm
2. Des Antonius von Padua Fischpredigt
3. Trost im Unglück
4. Rheinlegendchen
5. Der Schildwache Nachtlied
6. Der Tambourg'sell
7. Revelge


Kindertotenlieder

1. Nun will die Sonn' so hell aufgehn
2. Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
3. Wenn dein Mütterlein
4. Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen
5. In diesem Wetter


Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert

1. Ich atmet' einen linden Duft
2. Blicke mir nicht in die Lieder
3. Ich bin der Welt abhanden gekommen
4. Um Mitternacht

Dietrich Henschel, Bariton
Hallé Orchestra
Ltg.: Kent Nagano

Teldec 8573-86573-2


Ebenfalls bei Teldec erschienen sind die in der Rezension erwähnten Aufnahmen von Schuberts Winterreise (Teldec 8573-82273-2) und der 3. Symphonie von Gustav Mahler (Teldec 8573-82354-2)


Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Rock-Pop-Startseite E-Mail Impressum
© 2001 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: cds@omm.de

- Fine -