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Anton Bruckner:

Symphonie Nr. 3 d-Moll
Gesamtaufnahme aller drei Fassungen und Adagio von 1876


Die Autonomie der verkannten Fassungen

Von Rainer von Hößlin

Einige Dinge zur Präsentation vorweg: Die Aufnahmen wurden von SonArte produziert. Leider erfährt man im Booklet wenig über dieses Label. Die zur Hilfe genommene Webseite gibt Auskunft darüber, dass im wesentlichen mit der Neuen Philharmonie Westfalen zusammengearbeitet wird. Dies aber in erstaunlich professioneller und künstlerisch mehr als zufrieden stellender Art und Weise.

Mit seinem feinen und ausgewogenen Klang ist das Orchester sicherlich unter die besseren Klangkörper in Deutschland einzureihen. Seit es im Wege einer Zusammenlegung der Orchester aus Recklinghausen und Gelsenkirchen im Jahre 1996 zur Neuen Philharmonie Westfalen mutierte, hat es unter seinem GMD Johannes Wildner beachtliche Erfolge gefeiert. Hierzu gehört ohne Zweifel auch die hier vorliegende Aufnahme der drei gültigen Versionen der 3. Symphonie Bruckners.

Im Booklet, welches mit kleinen Fehlern behaftet ist, befindet sich ein lesenswerter Aufsatz über die Entstehungsgeschichte dieser Symphonie. Der Autor, Benjamin Gunnar Cohrs, hat dazu interessante Aspekte der Rezeptionsgeschichte herausgearbeitet und im Ausblick auf die zukünftige Bewertung der Bruckner-Symphonik einleuchtende Erklärungen parat.

Ich habe die 3 Symphonien - so muss man die Versionen wegen ihrer doch einschneidenden Unterschiede nennen - mehrmals unter Zuhilfenahme der Partituren abgehört. Ein Gedanke hat sich dabei geradezu aufgedrängt: Welche Überlegungen haben die Initiatoren wohl bewogen, die Aufnahmen in ein und derselben Interpretation, mit dem gleichen Orchester und mit dem gleichen Dirigenten, vorzulegen? War es die künstlerische Perspektive oder das musikphilologische Interesse? Ersterer kann entgegen gehalten werden, dass bereits vollgültige Aufnahmen der drei Versionen eingespielt wurden. Beispielhaft haben sich um die erste Version Eliahu Inbal und Roger Norrington, um die zweite Version Nikolaus Harnoncourt und um die dritte Version eine Flut von Interpreten, insbesondere Sergiu Celibidache, verdient gemacht. Gerade aus diesem Umstand könnte gefolgert werden, dass dem Hörgenuss der Symphonie durch die Interpretation eines einzigen Teams ein wenig Langeweile zuteil wird. Dieser Argumentation hat der Dirigent Johannes Wildner aber ein beredtes Zeugnis entgegen gestellt. Es ist einfach spannend, die Fassungen in einer Edition vorliegen zu haben und abhören zu können. Allein der "Kennenlerneffekt" macht schlichtweg Freude. Dazu ist die Interpretation alles andere als eintönig.

Die erste Version der 3. Symphonie wurde von Bruckner im Dezember 1873 fertiggestellt. Er hatte sie schon im Juli des Jahres - unter erheblichem Bierkonsum - Richard Wagner vorgestellt und diesem dann gewidmet. Es wimmelt von Zitaten aus Tannhäuser, Tristan, Meistersinger und Walküre. Dennoch ist der Fassung vollständige künstlerische Autonomie zuzugestehen. Es hat sich in dieser Lebensphase des Komponisten der typische "Personalstil" Bruckners herausgebildet: erratischen Blöcken der Blechbläser stehen zarte Streicherpassagen direkt gegenüber, lang ausgesponnene Melodiebögen konkurrieren mit volksmusikantischem Gestus. Die Exposition des ersten Satzes (gemäßigt, misterioso) ist im Gegensatz zu der bis damals bekannten symphonischen Satzbauweise nahezu unendlich erweitert und hat bereits Durchführungscharakter. Wurde bisher am Themendualismus festgehalten, fügt Bruckner nunmehr ein drittes Thema hinzu. Der eigentliche Durchführungsteil ist denn auch um etwa 100 Takte kürzer und hat die Länge der folgenden Reprise. Die Interpretation Wildners hat sich dem in sehr schöner Art und Weise angepasst. Es wird ruhig musiziert, ohne dass die Musik zerfällt. Die Blockhaftigkeit des Satzes bleibt aber erhalten und wird durch das hervorragende Blech und die ausgezeichneten Streicher großartig betont. Wenn es etwas zu bemängeln gilt - übrigens für alle drei Fassungen -, dann ist es die stiefmütterliche Behandlung der Holzbläser. Die Hervorhebung der ihnen übertragenen Thematik bleibt manchmal im wahrsten Sinne des Wortes im Misterioso. Ansonsten aber überzeugt die Interpretation. Die Dynamik des zweiten Satzes ist weit gespannt und ausgewogen. Die musikalische Deutung des thematischen Materials geht nach innen und vermittelt dem Hörer durchaus anrührende Momente. Das Scherzo, ganz ländlerisch und volksnah, wird mit musikalischer Verve serviert. Großartig in ihren Schmettermotiven sind hierbei die Hörner und Trompeten. Im Finale ist das 2. Thema - Polka mit darüber gesetzten Bläserchorälen - wunderbar musiziert. Allein die außergewöhnliche Länge dieses Satzteils und seine Interpretation beeindrucken sehr. Als zuvor nur selten gehörte Version hat mich diese Fassung sehr beeindruckt.

Bruckner hatte kein Glück mit dieser Symphonie. Sie erschien nicht im Druck und wurde auch nicht aufgeführt. Er hat sich 1875 und 1876 deshalb zu einer umfassenden Umarbeitung entschlossen. Bereits an der Widmungspartitur, welche er Wagner im Frühjahr 1874 übersandte, sind kleine Änderungen vorgenommen worden. Die Hauptarbeit vollzog Bruckner aber im Jahre 1876. Die Symphonie erscheint nun in wesentlich, nämlich um ca. 160 Takte kürzerer Form. Die Konstruktion erfährt größere Ausgewogenheit, die Motivik wird ergänzt und verfeinert. Auch wenn das musikalische Material grundsätzlich erhalten bleibt, entsteht etwas ganz Neues, etwas Anderes als die erste Version. Die Wagner-Zitate sind nahezu ausgemerzt. Bruckner wollte wohl eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber seinem großen Vorbild unterstreichen. Diese zweite Fassung der Symphonie wird vom Orchester und seinem Dirigenten im Vergleich zu ersten Version in nicht wesentlich unterschiedlicher Art und Weise dargeboten. Die Tempi sind ähnlich moderat, die Melodik ist zum Teil herrlich herausgearbeitet, wen auch hie und da ein betonteres Musizieren der Holzbläser wünschenswert wäre. Insgesamt aber gilt das zur Interpretation der ersten Version Gesagte. Wildner und seine Musiker haben den Ton auf den Punkt getroffen und eine schlüssige, schöne Fassung vorgelegt.

Die zweite Version erschien im Druck und wurde 1877 uraufgeführt. Dennoch setzte auch sie sich zu-nächst nicht durch. Bruckner, der Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts schon an der Arbeit mit seiner achten Symphonie befasst war, hatte wohl auf Grund der durchaus positiven Erfahrungen mit seinen Symphonien vier bis sieben erneut eine Bearbeitung der dritten Symphonie ins Auge gefasst. Die Dirigentenbrüder Schalk übten in dieser Richtung starken Einfluss auf ihn aus, obgleich Gustav Mahler abriet und eine Umarbeitung der Symphonie für entbehrlich hielt. Franz Schalk bearbeitete das Finale gar ohne Autorisierung des Komponisten. Schließlich aber hat Bruckner 1888 und 1889 unter Berücksichtigung der Schalkschen Fassung des Finales die dritte Version gefertigt. Sie ist noch kürzer als die vorhergehenden Arbeiten. Eine "Verbesserung" kann aber in den geänderten Proportionen des Satzbaus wohl kaum gesehen werden. Die fortentwickelte motivische Arbeit hat sich nicht wesentlich ausgewirkt. Dennoch ist wiederum eine vollgültige und neue Version entstanden. Von der Neuen Philharmonie Westfalen wird sie - hierin liegt eine kleine Enttäuschung - nicht mit der gleichen Hingabe wie deren Vorgängerinnen interpretiert. Das hängt fast ganz an der Tempowahl. Wildner bevorzugt nun, vielleicht um eine Alternative zu bieten, die rasche Gangart. Im ersten Satz und im Finale werden die Gesangthemen nur oberflächlich abgespult. Das dritte Thema des Finales, eine aufwühlend synkopisch gegenläufige Bewegung der Unter- und Oberstimmen mit der wunderbar folgenden Lösung zum Liedhaften wird so schnell genommen, dass das musikalische Material beiläufig daherkommt. Zwar sind die Tempi des zweiten und dritten Satzes nicht problematisch, dennoch wird auch hier nicht so stringent musiziert, wie in den Fassung eins und zwei. Ich verkenne nicht, dass auch die dritte Version in der vorliegenden Interpretation durchaus beglückende Momente hat. Beispielhaft muss man das tänzerisch dargebotene Trio des Scherzos oder die Blechbläserexposition des Finales nennen. Insgesamt aber erscheint mir diese Fassung schwächer als die anderen.

Herrlich finde ich die Darstellung des zweiten Satzes in der Fassung von 1876. Es ist eine Überarbeitung des Adagios der ersten Fassung, kann aber wohl kaum der zweiten Version eindeutig zugeordnet werden. Dieser in die CD-Edition zusätzlich aufgenommene Satz ist, entgegen der zweiten Fassung, erheblich erweitert. Wildner interpretiert ihn in völliger Ruhe und Abgeklärtheit. Die Dynamik schreitet den Raum voll aus. Der Orchesterklang bleibt auch im Fortissimo klar und durchsichtig. Hier haben uns die Österreicher Bruckner und Wildner ein wirkliches "Zuckerl" geboten.

Eine Erkenntnis aus der Beschäftigung mit der durchaus lobenswerten und "kaufwürdigen" CD besteht darin, dass jede der Brucknerschen Fassungen als gänzlich autonom zu gelten hat. Auch wenn die Symphonie aus durchsichtigen Gründen mehrmals überarbeitet worden sein mag - schließlich sehnte sich auch Bruckner nach Erfolg -, haben die frühe, die mittlere und die späte Fassung ihre volle Gültigkeit. Die in so bemerkenswerter Interpretation vorliegenden Versionen belegen, dass die immer noch herrschende, wegwerfende Missachtung gegenüber den Frühfassungen der Symphonien Bruckners gänzlich fehl am Platz ist.


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Anton Bruckner:

Symphonie Nr. 3 d-Moll
Gesamtaufnahme aller drei Fassungen
und Adagio von 1876

Neue Philharmonie Westfalen
Leitung: Johannes Wildner

Aufnahmedatum: 10/2001 bis 01/2002
SonArte SP 20



Da capo al Fine

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