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Christine Schäfer
Apparition

Grenzüberschreitungen


Von Stefan Schmöe

Diese CD, konzipiert und produziert von Sopranistin Christine Schäfer persönlich, ist nicht einfach eine Einspielung von Liedern. Das beginnt mit der auf den ersten Blick merkwürdigen Programmauswahl, einer Gegenüberstellung des Barockkomponisten Henry Purcell mit dem Amerikaner George Crumb (geboren 1929). Dabei wird nicht erst der eine, dann der andere abgehandelt, sondern Christine Schäfer springt zwischen beiden hin und her. Auch wird Purcell nicht im historisch korrekten Gewand dargeboten, sondern Pianist Eric Schneider begleitet alle Werke vom modernen Konzertflügel aus (darunter auch Transkriptionen der – im Original orchesterbegleiteten – Arien wie Dido's lament aus Dido and Aeneas), und auch die Spielweise ist keineswegs historisierend. Geordnet sind die Lieder so, dass sie inhaltlich einen Bogen spannen von der Liebe über Eifersucht und das Verlassenwerden bis zum Tod. Dazwischen ist immer wieder eine (teilweise elektronisch verfälschte) Kinderstimme zu hören, die einzelne Zeilen aus Sonetten Shakespeares rezitiert – auch das verstärkt die außermusikalischen Bezüge, die der CD ein ganz eigenes Gepräge geben. Hinzu kommt noch die avantgardistisch gestaltete CD-Hülle (mit Fotos, auf denen die Sängerin mit einer Art Hochzeitskleid zwischen den Skeletten von Dinosauriern im Naturhistorischen Museum Paris). Eine CD also, die mehr sein möchte als „nur“ eine Einspielung von Musik – ein kleines Gesamtkunstwerk.

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Vorweg: Christine Schäfer hat eine solche „Verpackung“ nicht nötig, denn jedes einzelne Lied ist in der hier vorgestellten überragenden Interpretation ein absolut hörenswertes Ereignis. Die helle, gleichzeitig warme und tragfähige Stimme hat eine schier unglaubliche Palette von Nuancierungsmöglichkeiten; sie kann leuchtend und klar in die Höhe steigen, dramatisch zupackend Höhepunkte setzen, im Pianissimo zart und dennoch substanzvoll aufblühen und ganz fahl ohne Vibrato ersterben. Dazu kommt die musikalische Intelligenz der Sängerin, die nie etwas als Selbstzweck einsetzt, sondern jeden Effekt aus dem Text und aus der musikalischen Entwicklung heraus wie selbstverständlich entwickelt. Was die Vielschichtigkeit des Ausdrucks, die Verbindung von gesangstechnischen Möglichkeiten mit musikalischer Gestaltung betrifft, ist Christine Schäfer eine Ausnahmekünstlerin und derzeit fast konkurrenzlos. Eric Schneider ist hier ein kongenialer Partner, oft bewusst spröde, wie zögernd sich an die Musik herantastend. Der Klavierpart klingt völlig entschlackt, auf das Wesentliche reduziert.

Von einer bloßen "Verpackung" Purcells und Crumps durch ein schickes Konzept kann aber keine Rede sein. Die Künstlerin merkt im Begleitheft zu Recht an, dass diese CD mehr ist als die Summe der einzelnen Lieder. Es verblüfft, wie gut Purcell und Crump korrespondieren, der Wechsel zwischen beiden keineswegs als Bruch, sondern als sinnhafte Ergänzung hörbar wird. Die Musik Henry Purcells wirkt in diesem Zusammenhang aufregend modern – oder eher zeitlos, denn im Wechselspiel scheinen Begriffe wie „alte“ oder „moderne“ Musik hier fehl am Platz. Die eingeschobenen gesprochenen (und akustisch verfremdeten) Sonettzeilen verstärken diesen Eindruck noch. Crumps Songs sind sehr farbenreich komponiert und spielen mit den Möglichkeiten der menschlichen Stimme. Die hier eingespielten Drei frühen Lieder von 1947 sind Crumps früheste Kompositionen, noch vor seinem Studium (u.a. bei Boris Blacher in Berlin) geschrieben – berückend schöne Stimmungsmalereien, denen Arabesken in der hohen Klavierlage im Zusammenklang mit der (noch recht konventionell komponierten) Singstimme fast impressionistischen Charakter verleihen. Das sehr viel radikalere Werk Apparition entstand 1979 nach Texten des amerikanischen Dichters Walt Whitman, dessen Gedichtszyklus When Lilacs Last in the Dooryard Bloom'd ein Reflex auf den Tod von Abraham Lincoln darstellt und sich intensiv mit dem Thema "Tod" auseinander setzt. Hier sind Gesangslinie wie Klavierpart zerklüftet, wobei Crumps Gespür für Klangfarben stets hörbar bleibt. Zwischen die sechs Gedichtsvertonungen sind drei Vocalisen eingeschoben, in denen Sprachlaute auf ihren unmittelbar musikalischen Gehalt zurückgeführt werden. So werden am Ende der CD die Grenzen von Sprache und Tonalität erreicht - das darf man ruhig sinnbildlich als Grenzüberschreitung verstehen.

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Apparition

Christine Schäfer, Sopran
Eric Schneider, Klavier

Henry Purcell (1659 - 1695):
Music for a while
If music be the food of love
Ah! How sweet it is to love
An Epithalanium
Sweeter than roses
From rosy bow'rs
Not all my torments
Celebrate this festival!
Dido's lament


Geoge Crump (* 1929):
Three early songs (1947)
Apparition - Elegiac Songs and Vocalises (1979)
für Sopran und verstärktes Klavier

ONYX 8841670


Weitere Informationen
www.christine-schaefer.com
www.onyxclassics.com





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