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Schnittke-Interpretationen auf höchstem Niveau


Das Label Naxos, dafür bekannt, auch abseitiges und selten gehörtes auf Tonträger zu veröffentlichen, beschränkte sein Engagement bezüglich der Musik des 20. Jahrhunderts weitestgehend auf Komponisten, die in irgendeiner Art und Weise noch der spätromantischen Tradition verhaftet sind - wenn man von wenigen Ausnahmen, wie der Gesamteinspielung von Lutoslawskis Orchesterwerken einmal absieht. Einem anderen, auch schon verstorbenen Zeitgenossen ist eine bereits im letzten Jahr erschienene CD gewidmet, auf welcher sich eine Zusammenstellung verschiedener Kammermusikwerke Alfred Schnittkes findet. Als "Hauptwerke" finden sich auf der CD das Klavier-Quintett von 1976 und das zweisätzige Streichtrio aus dem Jahre 1985.

Das Klavier-Quintett stellt einen Wendepunkt innerhalb von Schnittkes stilistischer Entwicklung dar. In zeitlicher Nähe zur ersten Sinfonie, die zwischen 1969 und 1972 entstand, steht das Klavierquintett für Schnittkes Abkehr von serialistischen und aleatorischen Kompositionstechniken. Während die erste Sinfonie für Schnittkes polystilistisches Komponieren steht, vertritt das Klavierquintett, wie auch alle anderen Stücke auf der CD das komponieren von sehr langsamer und leiser Musik. Diese Arbeiten sind allesamt von einem hohen Grad an Innerlichkeit und Weltabkehr geprägt, auch die individuelle Expression des Komponisten gewinnt an Bedeutung. Im Fall des Klavierquintetts kommen zwei biographische Ereignisse hinzu: Der Tod der Mutter 1972 fällt mit dem Beginn der Arbeit zusammen, die Komposition wird etwas nach dem Tod Schostakowitschs fertig gestellt, der als musikalischer Orientierungspunkt für Schnittke sehr wichtig war, dem die Orchesterfassung des Quintetts von 1978 gewidmet ist.

Während die persönliche Motivation durch die Erfahrung des Todes geprägt ist, das Stück eine Stimmung zwischen Trauer und verzweifeltem Ausbruch suggeriert, changiert auch Schnittkes Materialbehandlung zwischen Affirmation und Retrospektive. Während er ab Mitte der 70er Jahre mit seinem Bekenntnis zu direktem Ausdruck und seiner Verwurzelung in der spättonalen Tradition Schostakowitschs auch im Westen den Nerv der Zeit getroffen hat - Avantgarde-Verdruß und musica regressiva -, weißt andererseits seine Musik bedeutend mehr Substanz und Langlebigkeit auf, als vieles andere aus jenen Jahren. Dies liegt wohl daran, daß Schnittke zumindest in den beiden vorliegenden, größeren Kammermusik-Werken deren Rückwärtsgewandheit musikalisch reflektiert, auch wenn dies hier anders geschieht, als in den quirligen Patchwork-Arbeiten polystilistischen Zuschnitts. Im Klavierquintett fällt dies besonders im zweiten Satz, "tempo di valse" auf. Ein melancholischer Walzer ertönt, der stark an jenen aus Schostakowitschs Jazz-Suite erinnert; er wird aber fast sofort verfremdet, in einen innermusikalischen Rahmen gefaßt. Der Walzer erklingt und wird gleichzeitig als Rückblende kommentiert, dargestellt. In den andern Sätzen klingt der verinnerlichte Streicherklang Schostakowitschs durch, im letzten Satz erklingt eine wehmütige Spieldosen-Musik im hohen Klavier-Register, die das Thema der Passacaglia abgibt.

Im zehn Jahre jüngeren Streichtrio dieser retrospektive Aspekt noch stärker: Das Stück, welches als Auftrag der Alban-Berg-Gesellschaft entstand, ist eine musikalische Auseinandersetzung mit dem Wien der Schönberg-Schule, auch eine persönliche Rückblende des Komponisten, der in Wien zwischen 1946 und 1948 die für seine Musikerlaufbahn entscheidenden Impulses erhielt. Die beiden Sätze des Stückes gruppieren sich um eine schlichte, mahlersche Melodie, die wie eine idée fixe durch die verschiedenen Kontexte des Stückes immer wieder durchscheint. Das Idiom des konzentrierten und spannungsgeladenen Stücks gemahnt stark an Berg oder auch an Schönbergs zweites Streichquartett, auch formal scheinen die Spannungen zwischen Ausbrüchen und einem ausgeprägten Formwillen ähnlich gelagert zu sein. Hinzu kommen im zweiten Satz wiederum Einschübe aus stilistisch fremden Welten, ein fast fetziger Abgang im Tango-Stil, Anklänge an eine frühbarocke Pavane, ein Schubertscher Tanz, der aus der Pavane abgeleitet ist. Das Stück endet mit einer stückimmanenten Rückschau, deren groß angelegte Kadenz unaufgelöst stehen bleibt.

Die Interpretation der Stücke präsentiert sich konzentiert und spieltechnisch auf höchsten Niveau. Zudem ist mit der Pianistin Irina Schnittke, der Witwe des Komponisten, die auch musikalisch mit ihrem Mann viel zusammengearbeitet hat, eine Musikerin beteiligt, die sowohl mit pianistischer Brillanz, als auch mit einer engen Vertrautheit mit der Musik ihres Mannes überzeugendes leistet. Ebenfalls über lange Jahre eng mit Schnittke zusammengearbeitet haben der Geiger Mark Lubotsky und der Cellist Alexander Ivashkin, letzterem ist auch das Solo-Stück "Klingende Buchstaben", welches sich ebenfalls auf der CD findet, gewidmet. Ergänzt wird die Besetzung durch Irina Morozowa und Theodore Kuchar (Bratsche) und die beiden Australier Dimitry Hall (Violine) und Julian Smiles (Cello). Augenscheinlich ist die CD in Zusammenarbeit mit dem "Australien Festival of Chamber Music" in Townsville City entstanden.

Gerade das erwähnte Solostück "Klingende Buchstaben" von 1988 - wie auch die "Stille Musik" für Violine und Cello von 1979 - demonstrieren, wie Schnittke nach dem Klaviertrio den Weg einer Verinnerlichung seiner Schreibweise insbesondere für kleine Streicherbesetzungen weiterverfolgt hat, wie er auf diesem Weg in seine Stücke einen differnzierten Einsatz der inzwischen gängigen Spieltechniken der Neuene Musik integriert hat. Dies umfaßt auch Mikrotöne und Glissando-Spiel. Atmosphärisch dicht, verflüchtigen sich die Stücke nach und nach in extrem hohen, zerbrechlichen Flageolet-Klängen - beeindruckend interpretiert von Lubotsky und Ivashkin. Als Dreingabe findet sich am Anfang der CD noch die "Fuge für Violine solo", ein Jugendwerk von 1953. Überdeutlich ist die Inspiration durch die Bachschen Solo-Sonaten, deren Idiom von Schnittke ein wenig aufgerauht wurde.


Von Sebastian Hanusa





Cover

Alfred Schnittke
Piano Quintett String Trio
1999 AFCM Ensemble

Fuge für Violine Solo (1953)
"Klingende Buchstaben"
für Cello Solo (1988)
Klavierquintett (1976)
"Stille Musik" für
Violine und Cello (1979)
Streichtrio (1985)

Irina Schnittke, Klavier
Mark Lubotsky, Violine
Dimitry Hall, Violine
Theodore Kuchar, Viola
Irina Morozowa, Viola
Julien Smiles, Violoncello
Alexander Ivashkin, Violoncello

Aufnahme:
Sir George Kneipp Auditorium,
Jamer Cook University,
Townsville, Queensland, Australien, Juli 1999

Bestellnummer: 8.554728
Firma: NAXOS






Da capo al Fine

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