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Musik mit revolutionären Weihen


Das lange Leben des Francoise-Joseph Gossec (1734 – 1829) berührt drei musikalische Epochen - geboren zu Lebzeiten Bachs und Rameaus überlebte der Komponist nicht nur Haydn, Mozart und Beethoven, sondern auch Schubert und Weber. Geprägt ist es aber weniger von den musikalischen als vielmehr von den politischen Umbrüchen, die sich in der Biographie des Komponisten, der in unterschiedlichsten offiziellen Funktionen tätig war, widerspiegeln. Gossec begann seine Karriere auf Empfehlung Rameaus in einer Privatkapelle spätbarocken Einschlags, rief einige Jahre nach deren Auflösung in Paris die „Concerts des Amateurs“ ins Leben, eine Konzertreihe mit fortschrittlicher Ausrichtung, und wurde nach der Revolution einer von fünf Inspektoren des Pariser Konservatoriums. Nach der Schließung des Konservatoriums im Zuge der Restauration starb Gossec, einst als „Komponist der Revolution“ gefeiert, in Armut.

Die „Grande Messe des Morts“ fasst musikalisch einiges von diesem romanwürdigen Leben zusammen – allerdings keineswegs im Rückgriff, denn das Werk ist bereits 1760 entstanden. Gossec verarbeitet hier nicht nur barocke Formen (in den großen Chorfugen) und Elemente der „Mannheimer Schule“, sondern weist in der Vielfalt der verwendeten Elemente in die Zukunft – am 6. August 1789 wurde das Werk zu Ehren der beim Sturm auf die Bastille Gefallenen aufgeführt und kam so zu revolutionären Weihen. Offenbar klang die Komposition auch fast 30 Jahre nach seiner Entstehung „modern“ genug, um musikalisch eine neue politische Epoche zu repräsentieren. In manchen Zügen deutet sie bereits auf das Requiem von Berlioz (entstanden 1837) hin – nicht zuletzt in ihrem Hang zu opulenten Ausmaßen (das Stück dauert immerhin 90 Minuten).

Der junge Komponist scheint in diesem leider heute allzu unbekannten Geniestreich alle seine kompositorischen Fähigkeiten präsentieren zu wollen. Dazu setzt er bewusst heterogene Mittel ein. In ausladenden Chorfugen zeigt er die Beherrschung des barocken Erbes; die aber - wie das gesamte Werk - bereits von der Mannheimer Schule "eingefärbt" sind. Auch Bezüge zur Oper sind offensichtlich: Im Offertorium etwa stellt er Rezitativ und Arie zu einer kleinen Szene zusammen (und weicht dafür vom üblichen liturgischen Text ab). Das „Recordare“ ist als Quartett der Solisten über einer denkbar schlichten, aber gerade deshalb geheimnisvollen ostinaten Bassfigur aufgebaut, wobei die solistischen Stimmen in den unterschiedlichsten Kombinationen eingesetzt werden. Auf diesen archaisch anmutenden Satz – sicher eine der interessantesten Nummern der Komposition – folgt eine jubelnde Sopranarie in bester frühklassischer Manier.

Damit diese durchaus heterogenen Elemente nicht auseinanderfallen, stellt Gossec sie mit Sinn für dramatische Effekte gegeneinander. Auf das „Confutatis“, das in einem Accelerando-Wirbel in sich zusammenstürzt, folgt ein choralartiger, sich vorsichtig von Harmonie zu Harmonie tastender Chorsatz, der seinen Abschluss aber erst in dem erlösenden Duett der beiden Solo-Soprane im „Lacrymosa“ findet. Auf diese Weise strukturiert Gossec das Werk in großen Spannungsbögen und durchaus opernhaft. “Modern“ ist auch die Instrumentation, die immer wieder die Holzbläser, darunter auch die zur Entstehungszeit „moderne“ Klarinette, in den Mittelpunkt rückt. Die rein orchestrale Introduktion scheint das programmatisch voranstellen zu wollen: Statt einer thematischen Entwicklung werden sehr einfache Motive fast ausschließlich durch das wechselnde Klangbild variiert, wodurch das Stück trotz der „hellen“ Tonart C-Dur einen düsteren Charakter erhält.

Die vorliegende, bei Naxos erschienene Aufnahme, die in Co-Produktion mit dem Schweizer Rundfunk in Lugano entstanden ist, gibt die äußerst hörenswerte Komposition leider nicht immer mit der nötigen Schärfe wieder. Das liegt vor allem an den beiden männlichen Solisten: Den matten Bass von Claude Darbellay mag man noch verschmerzen, aber der völlig überforderte Tenor von Howard Crook ist ein Ärgernis, zumal der Tenorpartie nicht eben klein ist. Überzeugender ist da Maite Arruabarrena (Mezzo-Sopran), ausgezeichnet die Sopranistin Roberta Invernizzi. Der Coro della Radio Svizzeria Lugano und das Ensemble Grupo Vocale Cantemus bewältigen den umfangreichen Chorpart bis auf ein paar Schwachstellen in den Männerstimmen bravourös, ebenso das Orchestra della Svizzera Italiana. Dirigent Diego Fasolis hebt die Schärfen der Partitur hervor, ohne die Effekte zu überzeichnen.

Quasi als Zugabe ist die Symphonie à 17 parties aus dem Jahr 1809 eingespielt (unter der Leitung von Wolf-Dieter Hauschild). Angesichts der Entwicklung der Symphonie bei Beethoven klingt das Stück hübsch, aber weit weniger aufregend als die Totenmesse. Der Revolutionskomponist ist in seiner Entwicklung irgendwann stehen geblieben. Erst späteren Komponisten wie Berlioz war es vorenthalten, die mit der „Grande Messe des Morts“ begonnene Linie fortzuführen.



Von Stefan Schmöe




Cover

Francois-Joseph Gossec (1734 - 1829):
Grande Messe des Morts
Symphonie à 17 parties

Roberta Invernizi, Sopran
Maite Arruabarrena, Mezzo-Sopran
Howard Crook, Tenor
Claude Darbelay, Bass

Coro della Radio Svizzera Italiana
Gruppo Vocale Cantemus
Orchestra della Radio Svizzera Italiana

Leitung: Diego Fasolis (Messe) /
Wolf-Dieter Hauschild (Symphonie)

Naxos 8554750-51


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