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Erwin Schulhoff
Die Wolkenpumpe - Bassnachtigall - Divertissement - Concertino - Flötensonate - Duo für Violine und Violoncello

Lachen um nicht zu weinen: Eine Wolkenpumpe zwischen den Weltkriegen

Von Susanne Westerholt

"Der göttliche Funke kann wie in einer Leberwurst auch in einem Kontrafagott vorhanden sein." - Das sagt einer, von dem man eigentlich meinen könnte, dass ihm das Lachen längst vergangen ist. Der Satz stammt nämlich vom Komponisten Erwin Schulhoff. Mit jüdischer Abstammung und als ein überzeugter Kommunist war er unter der Herrschaft der Nazis doppelt gefährdet. Im Jahr 1942 starb der begnadete Komponist im Alter von 48 Jahren im Lager Wülzburg in Bayern.

Schulhoff verschrieb sich ganz und gar dem Experimentellen und der Avantgarde und sagte allem Spießigen in dieser Welt den Kampf an. Seine musikalische Wiederentdeckung verdankt Erwin Schulhoff dem Violinisten Gidon Kremer, der Schulhoff in den 1980er Jahren einem breiteren Publikum bekannt gemacht hat. Schulhoff überlebte den Ersten Weltkrieg trotz verschiedener Fronteinsätze. Seine Musik erscheint wie ein Gegenpol zu seinem erlebten Leid; witzig, vom Dadaismus beeinflusst und provokant ist seine Kunst. Schulhoff war einer der ersten Komponisten in Deutschland überhaupt, der Elemente des Jazz in seine Musik aufnahm. Sein Oeuvre ist sehr vielseitig; er komponierte Orchesterlieder, Sinfonien, eine Suite für Kammerorchester, zwei Klavierkonzerte, fünf Streichquartette und viele weitere kammermusikalische Werke. Wohl am bekanntesten sind seine Hot-Sonate für Altsaxophon und Klavier aus dem Jahr 1930 sowie sein Jazz-Oratorium H.M.S. Royal Oaks aus dem Jahr 1930. Erst ein kleiner Teil seines umfassenden Schaffens wurde bislang aufgeführt respektive eingespielt. Hier gibt es also noch etliche Schätze zu entdecken.

Erwin Schulhoff war ein Frühberufener, eine Art Wunderkind: 1894 in Prag geboren besuchte er bereits mit zehn Jahren das dortige Konservatorium. Weitere Studien folgten in Wien, Leipzig und Köln. Nebst der kompositorischen Begabung war Schulhoff auch ein ausgezeichneter Pianist. Nach dem Ersten Weltkrieg kam der durch seine Schwester, die Malerin war, in Kontakt mit dem Dadaismus und mit anderen experimentellen Kunstströmungen. Schulhoffs Musik ist radikal ebenso wie sein politisches Engagement. So ist auch zu erklären, weshalb er sich ab den 1930er Jahren mehr und mehr vom sozialistischen Realismus angezogen fühlte.

Das Ensemble Villa Musica hat auf der aktuellen CD Werke eingespielt, die Schulhoff in den 1920er Jahren komponiert hat. Die Bassnachtigall ist ein Werk aus dem Jahr 1922. Es handelt sich dabei um drei Vortragsstücke für Kontrafagott. Es ist nicht unbedingt nahe liegend, das Kontrafagott als Soloinstrument zu wählen. Allein schon die ausgefallene Instrumentierung zeugt vom Bestreben, Konventionen zu überwinden. Dass die Bassnachtigall aber alles andere als Schabernack ist, zeigt die Komplexität vor allem des zweiten und des dritten Satzes, ganz zu schweigen von der technischen Schwierigkeit, die Georg ter Voert in der vorliegenden Einspielung eindrucksvoll zu meistern vermag.

Die Wolkenpumpe entstand im Jahr 1922; sie ist mit Texten des Dadakünstlers Hans Arp unterlegt. Die Wolkenpumpe gilt als das dadaistische Musikstück von Schulhoff schlechthin: die ungewöhnliche Instrumentierung mit Sirene und Sandpapier, die Blues-Rhythmen und die Texte: es ist der Versuch, tradierte Ästhetik zu überwinden und Neues auszuprobieren, und zwar in jeglicher Hinsicht, sei es formal, rhythmisch oder hinsichtlich der Instrumentierung. Wie andere Dada-Kunstwerke, so ist auch die Wolkenpumpe nicht in herkömmlichen ästhetischen Kategorien beschreibbar. Am ehesten würde das Etikett "experimentell" passen, aber was heisst das schon? Verglichen mit anderen vom Dadaismus geprägten Werken Schulhoffs ist die Wolkenpumpe das Werk, das vermutlich am meisten seelische Tiefen auszuloten vermag. Dazu tragen gewiss auch die tiefgründigen Texte von Hans Arp bei, die Schulhoff offensichtlich dazu inspirierten, über die bloße Kritik am Bürgerlichen hinaus einen Schritt weiter zu gehen, um zum Kern der menschlichen Existenz vorzustossen. Ganz ehrlich gesagt: das geht streckenweise ziemlich unter die Haut. Worte wie "am kanonenbooten muss er sterben samt seinem kern" zeigen, dass Dadaismus kein oberflächlicher Schabernack ist, sondern nach der leidvollen Erfahrung des Ersten Weltkriegs einen neuen Zugang zur eigenen Existenz, zum Leben überhaupt sucht. Dass daraus der Bruch mit der tradierten Ästhetik erfolgte, ist zwangsläufig.

Das Ensemble Villa Musica überzeugt auf der CD durch exaktes Timing, Verspieltheit und deutlich spürbare Präsenz. So wird beispielsweise das "Divertissement für Oboe, Klarinette und Fagott" aus dem Jahr 1927 prononciert und mit viel Pepp gespielt. Eher rasch im Tempo im Vergleich zu Interpretationen anderer Ensembles, werden die einzelnen Stimmen sehr differenziert gespielt, wodurch eine transparente Klangtextur entsteht.

Begeistert von der Idee des Sozialismus beantragte Schulhoff für sich und für seine Familie die sowjetische Staatsbürgerschaft und erhielt diese auch. Als Angehöriger eines feindlichen Staates wurde Schulhoff während des Zweiten Weltkriegs ins Lager Wülzburg in Bayern deportiert und starb dort an den Folgen von Krankheit und Unterernährung. Es bleibt zu hoffen, dass seine Musik in Zukunft noch intensiver rezipiert wird, denn Schulhoff war seiner Zeit weit voraus, und seine Musik vermag noch heute auf ihre ganz eigene Weise neue Impulse zu geben.

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Erwin Schulhoff:
Divertissement - Concertino - Bassnachtigall - Duo für Violine und Violoncello - Sonata - Die Wolkenpumpe


Ensemble Villa Musica

Bariton: Thomas Holzapfel
Flöte: Jean-Claude Gérard
Oboe: Ingo Goritzki
Klarinette: Ulf Rodenhäuser
Fagott: Klaus Thunemann
Kontrafagott: Georg ter Voert
Trompete: Matthias Höfs
Violine: Ida Bieler
Viola: Enrique Santiago
Violoncello: Martin Ostertag
Kontrabass: Wolfgang Güttler
Percussion: Michael Gärtner, Edgar Guggers
Klavier: Kalle Randalu



Divertissement für Oboe, Klarinette und Fagott (1927)
1. Ouvertüre. Allegro con moto 1:28
2. Burlesca. Allegro molto 1:46
3. Romanzero. Andantino 1:49
4. Charleston. Allegro 1:53
5. Tema con variazioni e fugato. Andante 3:41
6. Florida. Allegretto 1:50
7. Rondino. Finale. 1:53

Concertino für Piccoloflöte, Viola und Kontrabass (1925)
1. Andante con moto 5:30
2. Furiant: Allegro furioso 3:36
3. Andante 4:05
4. Rondino: Allegro gaio 2:10

"Bassnachtigall" für Kontrafagott (1922)
1. Melancolia 1:39
2. Perpetuum mobile: Allegro 0:58
3. Fuga: Allegretto grotesco 1:05

Duo für Violine und Violoncello (1925)
1. Moderato 5:33
2. Zingaresca: Allegro giocoso 3:30
3. Andantino 4:38
4. Moderato 3:42

Sonate für Flöte und Klavier (1927)
1. Allegro moderato 4:52
2. Scherzo: Allegro giocoso 1:24
3. Aria. Andante 3:30
4. Rondo-Finale: Allegro molto gajo 2:35

Die Wolkenpumpe. Ernste Gesänge für eine Baritonstimme mit 4 Blasinstrumenten und Schlagzeug nach Worten des heiligen Geistes Franz Arp (1922)
1. aus karaffen 2:21
2. das nackte körperlein 2:26
3. eitel ist 1:23
4. sternenminniger 2:48


Gesamtspielzeit: 74:26


MDG 304 06172


Weitere Informationen
www.mdg.de




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