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Carl August Nielsen:
Sinfonien Nr. 1 und Nr. 2



Aufwühlende Musik in glatter Darbietung

Von Christoph Wurzel

Hand aufs Herz! Wer kennt schon Musik aus Skandinavien? Zwar wird Edvard Grieg in jedem Wunschkonzert gespielt ( ich finde, er ist besser als sein Ruf) - und dann ist da noch Jean Sibelius. Aber weitere Komponisten aus Nordeuropa? Unbekanntes Gelände!
"Fortgeschrittenen" sagt noch der Name Carl August Nielsen etwas. Ein Däne. Lebte von 1865 bis 1931. Seine Sinfonie "Die vier Temperamente" ist wenigstens dem Titel nach nicht ganz vergessen. Aber in den Konzertprogrammen unserer Orchester oder der Rundfunkanstalten ist dergleichen nur äußerst selten zu hören. Dass Nielsen allein sechs Sinfonien, zwei Opern und zahlreiche Kammermusikwerke geschrieben hat, muss erst dem Konzertführer entnommen werden. So macht die Neuveröffentlichung seiner Sinfonien Nr. 1 und 2 beim finnischen Label Finlandia durchaus neugierig.

Zu seiner zweiten Sinfonie ( entstanden 1901/02) wurde Nielsen nach eigenen Angaben durch ein Gemälde animiert, das er in einem Landgasthaus hängen sah. Es stellte die vier Temperamente dar, deren übertrieben Ausdruck und komische Wichtigkeit Nielsen amüsierte. Seine Sinfonie ist nicht Programmmusik im eigentlichen Sinn, sondern es handelt sich vielmehr um vier Charakterstücke in sehr deutlicher Tonsprache. Dabei hält sich Nielsen im Wesentlichen an die Form der klassisch-romantischen Sinfonie. Der erste Satz stellt in Sonatenform den Choleriker vor und beginnt mit aggressiven Paukenschlägen. Die Faktur erinnert stark an Brahms, in dessen Nähe Nielsen auch oft gestellt wird.

Der zweite Satz, als starker Kontrast zum Eingangssatz, schildert in der Form eines frei gestalteten Intermezzos den Phlegmatiker. Der dritte Satz, der ausladendste der Sinfonie, drückt schwere Melancholie und Depression aus. Es ist ein Liedsatz, der mit einer breit ausladenden Streichermelodie einsetzt, begleitet von dumpfen Paukenschlägen. Klagend führen Oboe und Englischhorn das eigentliche Thema ein. Die wimmernde Figur wird von den Violinen ostinat wiederholt, düster grundiert von den tiefen Streichern, bis hin zur eindringlichen Klage im Unisono des ganzen Orchesters, in dem nun das Blech stark dominiert. Es folgen auch hellere Momente ( Flöte, hohe Streicher), bis sich alles fast zur Katastrophe steigert. Düster wiegend und abwärts führend verebbt die Melodie. Forsch und frisch vorwärtsdrängend ist das Rondothema des vierten Satzes, das den Sanguiniker vorstellt. Einem Gassenhauer gleich preschen die Blechbläser im Marschrhythmus vor. Rasch abwechselnd übernehmen verschiedene Instrumentengruppen die Themen. Man hört die Freude am Leben förmlich heraus. Die Sinfonie endet in diesem frohen lebensbejahenden Ton.

Man sieht (bzw. hört): Nielsen ist durchaus ein Könner - und zwar in der Erfindung prägnanter Themen ebenso wie in der Instrumentation. Die Nähe zu Brahms wurde schon erwähnt, auch mit Mahler wird er verglichen, jedoch ohne dessen ausladende Tiefe in der Dramatik zu erreichen. In der Form weniger originell, ist er doch an vielen Stellen in der Harmonik überraschend kühn und gewagt in der Kontrastierung. Dass allerdings die Interpretation durch das Finnische Radio Sinfonie Orchester unter Jukka-Pekka Saraste gerade diese Facetten in Nielsens Werk verdeutlicht, kann man nicht sagen. Zwar wird virtuos und auch brillant gespielt -z.B. im Schlusssatz der 2. Sinfonie - aber die Tiefen und gerade auch die Untiefen in Nielsens Musik werden für meine Begriffe nicht deutlich genug ausgeleuchtet. Allzu glatt wird darüber hinwegmusiziert, die scharfen Ausbrüche des Cholerikers bleiben doch recht maßvoll und die grübelnden, tiefschwarzen Töne der Melancholie sind kaum bedrohlich geraten.

Das gleiche Bild zeigt sich auch in der 1. Sinfonie. Auch diese ist ebenfalls durchaus ein gelungenes Werk spätromantischer Sinfonik, das Nielsen ohne zuvor irgendeine Orchesterkomposition geschrieben zu haben, zehn Jahre vor der zweiten Sinfonie komponierte. Der erste Satz ("hochmütig") changiert zwischen C - Dur und g -moll und entwickelt in überraschenden Klangfarben sehr kurze musikalische Gedanken. Die Musik wirkt auf eine irritierende Weise getrieben und gehetzt. Erneut lässt Johannes Brahms im zweiten Satz, in seiner Orchestrierung und Melodieseligkeit, unüberhörbar grüßen. Es folgen zwei temperamentvolle Allegrosätze. Sie beschließen das Jugendwerk Nielsens, mit dem er 1894 bei der Uraufführung in Kopenhagen einen fulminanten Triumph errungen hat.

Ob sich ein derartiger Erfolg nach der Veröffentlichung dieser CD auch beim deutschen Publikum einstellen wird, bleibt dahingestellt. Der Musik ist eine Entdeckung zu wünschen. Der Interpretation allerdings gelingt es wegen der doch recht distanzierten Kühle nur schwer, für Nielsens Musik wirkliche Begeisterung zu entfachen.


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Cover



Carl August Nielsen :
Sinfonie Nr. 1 op. 7

1. Allegro orgoglioso
2. Andante
3. Allegro comodo
4. Allegro con fuoco

Sinfonie Nr. 2 op. 16
"Die vier Temperamente"

1. Allegro colerico
2. Allegro comodo e flemmatico
3. Andante malinconico
4. Allegro sanguineo




Finnisches Radio Sinfonieorchester
Leitung: Jukka-Pekka Saraste



Aufnahmen: Sibelius Hall in Lahti,
Finnland (März 2001)

Finlandia Records 8573-85574-2



Da capo al Fine

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