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Musikalisches Halbdunkel




Es muss im Baltikum ein besonderes Licht geben. Die bei Finlandia-Records erschienenen CD´s mit Werken verschiedener baltischer Komponisten scheinen das zu beweisen: So unterschiedlich alle Komponisten und deren Biographien auch sein mögen, so hört man schon nach kurzer Zeit eine verwandte Sprache, eben ein ganz spezielles, fahles Licht, welches alle Stücke umgibt und melancholisch beleuchtet.
Bei vielen Stücken ist nicht nur die Besetzung ähnlich (zumeist spielt auch das klangschöne Ostrobothnian Chamber Orchestra), sondern auch die Machart: Da erhebt sich eine einfache und melancholische Melodie in den Streichern, die sich zusehends in einem komplizierter werdendem Geflecht aufhebt. Häufig wird die Tonalität dann kurz verlassen, bevor sich das Geflecht entwirrt und endet.

Dieses scheint der Grundtypus zu sein, nach dem alle auf der CD "Voices" von Peteris Vasks versammelten Stücke funktionieren. Vasks wurde 1946 geboren und hatte in Vilnius Kontrabass studiert, bevor er, beeinflusst durch die "polnische Schule", zu komponieren begann.
Das Vorbild Arvo Pärt oder Henryk Goreckis ist hier allgegenwärtig und man erwartet doch mehr Selbständigkeit, als man es denn hört. Die Übergänge von einem zum anderen Stück sind fließend, schaut man nicht auf die CD, so kann man kaum sicher sein, wann ein neues Stück nun begonnen hat. Dabei ist die Musik wunderschön anzuhören und sehr facettenreich eingespielt, doch die kontrastlose immer ähnliche Musik kann den Hörer ermüden.

Ähnlich verhält es sich bei der CD "Gloria Patri" des 1960 in Estland geborenen Urmas Sisak, wobei das Ermüden hier aber "gewollt" ist. Die CD beweist sehr deutlich, dass es in Estland, einer alten Tradition folgend, großartige Chöre gibt. In diesem Fall, singt der Kammerchor des "Eesti Projekt" die "Meditativen und ruhigen Hymnen" von Sisask auf höchstem Niveau. Alle Stimmgruppen sind feinstmöglich aufeinander abgestimmt und homogen. Im Titel wird die Haltung der Musik schon vorweggenommen: Meditative Hymnen. Viel Abwechslung verspricht das nicht, und das Versprechen wird auch gehalten. Die Musik erinnert zumeist an absichtlich "spröde" gesetzte Volksliedchorsätze. Die sehr ähnlichen Stücke, alle liturgische Texte benutzend und eine sehr introvertierte Religiosität verratend, vermögen es, hört man die CD im Ganzen, schon nach kurzer Zeit enorm zu langweilen. Einzelne Sätze sind aber, wegen des fabelhaften Chores, durchaus hörenswert.

Eine besonders schillernde Gestalt im estnischen Musikleben stellte der 2000 erst 50-jährig verstorbene Lepo Sumera da. Er war an der neuen Musikhochschule in Tallinn als Professor für Komposition tätig und nebenbei Präsident des nationalen Komponistenverbandes, nachdem er für einige Jahre sogar estnischer Kultusminister gewesen ist. Finlandia-Records legen hier mit der CD "...like searching..." eine bemerkenswerte CD vor. Im Vergleich zu anderen Werken Sumeras aus den 70er Jahren (er schrieb zahlreiche Sinfonien), ist hier eine deutlich avanciertere Tonsprache zu bemerken. Immer noch ist das "besondere" Licht in Sumeras Werken zu hören, doch hier ist es viel aggressiver. Der Kontakt zur Neuen Musik Mitteleuropas ist zu hören, er scheut im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht vor heftigsten atonalen Ausbrüchen zurück und ist insgesamt vehementer in seinem Ausdruck. Unbedingt hervorzuheben ist hier das Stück, welches der CD den Namen gibt: "Like searching." Die "baltische Minimalmusic" ist zwar noch da, aber sie gewinnt durch Sumera an enormer Schärfe und Eigenständigkeit.

Auch in Deutschland längst bekannt und häufig gespielt ist der 1959 in Estland geborene Erkki-Sven Tüür, ein Schüler Lepo Sumeras. Seit der Perestroika ist seine Musik immer wieder in Mitteleuropa zu hören und fällt dort auch wegen des baltischen Kolorits auf. Wieder spielt das Ostrobothnian Orchestra unter Juha Kangas und abermals erstaunt die Perfektion der immer gleichen Technik: Leise Streichermelodie wird lauter, verzahnt sich, verlässt die Tonalität, kommt zurück und das Stück ist beendet. So zu hören im Stück "Passion", "Insula deserta" und dem jüngsten Stück "Lighthouse" von 1997. Letzteres ist auch bei weitem das Originellste und Intensivste der Stücke dieser Art.

Vielleicht wird der immer ähnliche Tonfall auch durch das immer gleiche Orchester herbeigeführt. Doch, wenn ja auch gegen regionale Ähnlichkeiten in der Musik überhaupt nichts einzuwenden ist, so fällt die Gleichartigkeit der Stücke doch sehr auf. Je nachdem, wie groß der Einfluss aus dem westlicheren Europa bei einem Komponisten war, desto mehr "falsche" Töne mögen sich eingeschlichen haben.

Fazit: Alle CD´s sind schon wegen der tollen Ensembles hörenswert, besonders die von Sumera und Tüür, der die baltische Technik meisterhaft beherrscht. Aber: über allem schwebt Pärt, mögen die Komponisten auch eine größeren Notenpapier-Verbrauch haben. Es dürfte nicht schaden, jenes "Licht" einmal anders zu sehen.



Von Gordon Kampe



Cover

Peteris Vasks:
Voices

Ostrobothnian Chamer Orchestra u.a
Leitung: Juha Kangas

Finlandia 8573-82185-2




Cover

Urmas Sisask:
Goria Patri

The Chamber Choir: Eesti Projekt
Leitung: Anne-Liis Treimann

Finlandia 8573-82587-2




Cover

Lepo Sumera:
"...like searching..."

Ostrobothnian Chamber Orchestra
Leitung: Juha Kangas


Finlandia 8573-82186-2




Cover

Erkki-Sven Tüür:
Desert Island
Ostrobothnian Chamber Orchestra
Leitung: Juha Kangas


Finlandia 8573-82187-2


Da capo al Fine

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