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Vladimír Godár
Mater

Musikalische Archäologie


Von Stefan Schmöe

Mütter gebären, schützen, trauern, klagen, sterben. Mütter sind einfach unersetzlich, könnte man, Herbert Grönemeyer abwandelnd, kalauern. Ironie aber ist der bei ECM erschienenen CD Mater völlig fremd, und so werden sechs an sich unzusammenhängende, vergleichsweise kurze Vokalkompositionen des slowakischen Komponisten Vladimír Godár (geboren 1956) unter dem lateinischen Wort für „Mutter“ zu einer Art Kantate zusammengeschweißt. Das ist sicher verkaufsfördernd, aber inhaltlich reichlich beliebig – irgendwie hat schließlich alles Menschliche einen „Mutter“-Bezug. Dass die Kompositionen vergleichsweise ähnlich klingen, spricht weniger für eine musikimmanente verbindende Logik als vielmehr für einen kompositorischen Personalstil, der ungeniert die Musikhistorie – bevorzugt Monteverdi – plündert, dabei aber in seinen Ausdrucksmöglichkeiten überschaubar bleibt.

„Alte“ Musik wird von Godár mehr zitiert oder nachgeahmt als verarbeitet. So basiert der Mittelteil des zehnminütigen Magnificat auf einer vielfach wiederholten dreitönigen Floskel aus Claudio Monteverdis Marienvesper. Zuvor psalmodiert eine Frauenstimme den Text – in slowakischer Sprache – über einem Orgelpunkt in tiefster Lage. Godár, das ist der zweite kompositorische „Trick“, verleiht dem Klang an Stelle des „klassischen“ Gesangsstils einen (archaisch anmutenden) volkstümlichen Tonfall, den Solistin Iva Bittová mit schnarrender Stimme gut trifft und der den besonderen Reiz der Musik ausmacht. Der (lateinisch gesungene) oben erwähnte zweite Teil wird homophon vom Chor gesungen (schneidend dissonante Einwürfe der Streicher geben eine pikante Würze); im abschließenden dritten Teil endet die Komposition mit einem kontrapunktischen Instrumentalsatz mit starken Anleihen beim Frühbarock. Godár sieht in dieser Komposition die drei wichtigsten Ideen der Musikgeschichte kombiniert: Melodie, Harmonie und Kontrapunktik. Obwohl das Magnificat unbestreitbare klanglichen Reize hat, stehen diese Elemente aber in beinahe musealer Form nebeneinander. Der intellektuelle Ansatz tritt da deutlich hinter dem sinnlichen Klangerlebnis zurück.

Einfachste, fast minimalistische Floskeln, wie man sie in einfachsten Kinderliedern findet, prägen Uspávanky (Wiegenlied), ein vom Streichquartett apart umrahmtes Schlaflied in slowakischer Sprache. Englisch dagegen ist der Text des kurzen, recht sentimentalen Ecce puer nach einem Gedicht von James Joyce. Das wiederum in slowakischer Übersetzung gestaltete Stabat mater für Alt, Violine und Kammerorchester schwingt sich gefällig, für fast 20 Minuten Spieldauer aber reichlich einfallslos in klassisch-romantischer Attitüde auf – Wohlfühlmusik ohne besonderen Tiefgang. In Regina coeli jubeln Frauensolo, Chor und Orchester beinahe ungestört durch „moderne“ Töne im Stil Monteverdis los; lediglich der betont scharfe, auch hier an Volksmusik orientierte Klang der Solistin verfremdet das neobarocke Klangerlebnis ein wenig – und man fragt sich: weshalb nicht gleich zum originalen Monteverdi greifen? Am Anfang und Ende der CD steht wie ein Rahmen ein schlichtes, aber wirkungsvolles Stück in jiddischer Sprache - Maykomashmalon, vielleicht die eindrucksvollste der hier versammelten Kompositionen.

Solistin Iva Bittová gibt der Musik immer da, wo volksmusikalischer Tonfall verlangt wird, ihren charakteristischen Reiz; in den „klassischen“ Passagen stößt die Stimme schnell an ihre Grenzen. Der Chor des Konservatoriums Bratislava und das Instrumentalensemble „Solamente Naturali“ singen und spielen unter der Leitung von Marek Stryncl makellos sauber und klangschön.

Argumente gegen die edle Einfalt dieser Musik liegen auf der Hand, und natürlich rechtfertigt sich der Komponist im schön gestalteten Beiheft der CD vorsorglich mit demütiger Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln unserer Kultur gegen argumentative Angriffe der kompositorischen Avantgarde. Godárs Musik wirkt an vielen Stellen wie ein später Nachhall auf die Kompositionen Arvo Pärts. Die archaisch anmutende Verwurzelung in Volksfrömmigkeit und weit entfernter Tradition in Verbindung mit eingänglicher Harmonik und fremd anmutender (hier slawischer) Sprache scheinen ein unverwüstliches Erfolgsrezept in Zeiten globalisierungsbedingter Vereinheitlichung zu sein – die unscharfe Grenze zum Kitsch wird jeder für sich selbst ausloten müssen.

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Vladimir Godár (*1956):
Mater

Iva Bittová, Stimme
Milos Valent, Violine, Viola

Chor des Konservatoriums Bratislava
Chorleiter: Dusan Bill

Orchestre Solamenti Naturale

Ltg.: Marek Stryncl

Tracklist:
1. Maykomashmalon (2005)
2. Magnificat (2003)
3. Uspávanky (Wiegenlied)(2001/2003)
4. Ecce Puer (1997)
5. Stabat Mater (2001)
6. Regina Coeli (2003)
7. Maykomashmalon (2005)


ECM new series 1985


Weitere Informationen
www.mater-musik.de
www.ecmrecords.com





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