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Esa-Pekka Salonen
Orchesterwerke


Vom Brummen des Bootsmannsfischs


Von Markus Bruderreck

„Foreign Bodies“ – „Fremdkörper“ lautet der Titel eines Orchesterwerkes, das der finnische Dirigent und Komponist Esa-Pekka Salonen vor vier Jahren geschrieben hat. Das Stück ist das Ergebnis einer kreativen Pause, die sich Salonen als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra im Jahr 2000 gönnte. „Foreign Bodies“ entstand aus einem zweisätzigen Klavierwerk und wurde zum größtbesetztem Orchesterstück, dass Salonen je komponiert hat. Wenn er über Fremdkörper nachdenkt, so meint Salonen auch sich selbst: Als Finne ist er in der Welt zu Hause, aber letztlich überall fremd: Auch davon handelt „Foreign Bodies“. Dieses Werk ist nun auf einer neuen CD von „Deutsche Grammophon“ zu hören, zusammen mit zwei anderen Weltersteinspielungen, die ebenfalls Früchte des kreativen Schubs sind, den Esa-Pekka Salonen während seines kompositorischen Urlaubsjahres erlebte. Der Dirigent liebt kontinuierliche künstlerische Arbeit. Als Chefdirigent in Los Angeles befindet er sich momentan in seiner 20. Saison. Schon über 25 Jahre jedoch ist er mit dem Sinfonie-Orchester des finnischen Rundfunks vertraut. Und dieser fulminante Klangkörper stand ihm nun auch für die Aufnahme seiner neuen CD zur Verfügung.

In den Werken von Esa-Pekka Salonen vereinen sich zahlreiche Stile, die an andere Komponisten erinnern, am Ende sind sie dennoch nur sehr schwer einzuordnen. Die Orchesterfarben (wie im letzten Satz von „Foreign Bodies“) sind schillernd wie die von Olivier Messiaen, die Motorik erinnert an Minimal Music. Zudem ist Salonens Musik der seines großen Landsmannes Jean Sibelius sehr nahe – hier stehen ebenfalls oft musikalische Prozesse und Formentwicklungen im Vordergrund. Sein Kompositionslehrer an der Sibelius-Akademie, Einojuhani Rautavaara, riet Esa-Pekka Salonen, sich von Dogmen aller Art frei zu machen – vom Traditionalismus einer irgendwie gearteten Spätromantik ebenso wie von den Vorschriften der Nachkriegsavantgarde. Dennoch war Salonen von einem anderen großen Lehrer, Pierre Boulez, zunächst stark in Bann gezogen. Doch auch diese Zeiten sind längst vorbei, wie der Komponist berichtet: „Ich habe aufgehört, in postserieller Art und Weise zu komponieren. Ich benutze jetzt für die Harmonik besondere Modelle, um eine Tonalität zu erschaffen, die nicht der alten, konventionellen Funktionsharmonik von Dur oder Moll gehorcht, aber doch Modulation erlaubt. Modulation ist einer der kraftvollsten Wege, um sich in Musik auszudrücken. Und es wäre problematisch, wenn diese Idee im harmonischen Vokabular nicht mehr vorhanden wäre. Was den Rhythmus betrifft, bin ich mehr an Motorik und Puls interessiert, an der Energie und Klangkraft, die ein großes Orchester hervorbringen kann. Auch da habe ich mich von der postseriellen europäischen Avantgarde entfernt.“

Vielleicht das originellste Stück auf der CD mit Werken von Esa-Pekka Salonen ist „Wing on Wing“, das im letzten Jahr anlässlich der Einweihung der Aufsehen erregenden Walt Disney Concert Hall in Los Angeles uraufgeführt wurde. „Wing on Wing“ ist eine Hommage an den Architekten Frank O. Gehry, der die silbern blitzende, in geschwungenen Blöcken verkleidete Konzerthalle entworfen hat. „Wing on Wing“, ein Ausdruck aus der Seglerjargon, bezeichnet das Entfalten der maximalen Segelfläche. Wie riesige, gegeneinander gestellte Segel wirkt auch die Fassade der Walt Disney Concert Hall. Musik also, die Architektur nachzeichnet? Mitnichten. Eher ein Miteinander der unterschiedlichsten musikalischen Elemente, wie Salonen betont: „Ich begann zu komponieren, indem ich mir bestimmte Metaphern zu Recht legte, die Frank in seiner Arbeit gebrauchte und die ich für mich in musikalische Bilder übersetzen konnte. Dinge, die mit dem Meer zu tun haben, mit Reisen, mit Wasser und Wind, auch mit Mythen. Und während des Komponierens kam ich am Ende auch dazu, Musik von wirklichen Fischen zu benutzen, zum Beispiel die Aufnahme eines Tieres, das sich „Kalifornischer Bootsmannsfisch“ nennt und einen sehr interessanten Basston absondert, wenn er auf Brautschau ist. Und dann habe ich mich dazu entschieden, auch Franks eigene Stimme zu benutzen. Die Liste an Dingen, die in das Stück Eingang fanden, ist lang.“

Esa-Pekka Salonens „Wing on Wing“ ist inspirierte Musik: Die Stimme von Frank O. Gehry schallt von im Raum verteilten Tonbändern, ebenso aber auch Sirenengesang, der auf Homers „Odyssee“ verweist. Aufregend hier die Koloraturen der finnischen Sopranistinnen Anu und Piia Komsi. „Wing on Wing“ gehört – als zeitgenössisches Meisterstück – in die Ahnenreihe der großen orchestralen Seebilder, das man gar nicht so weit entfernt neben Benjamin Brittens „Sea Interludes“ und Claude Debussys „La mer“ hängen sollte. Salonens treibende Rhythmen sind bei den Musikern des finnischen Rundfunks in den rechten Händen. Unter der Leitung des Komponisten spielen sie mit vorbildlicher Kraft und Präzision. Die Aufnahme der Deutschen Grammophon lässt aufnahmetechnisch nichts zu wünschen übrig (was auch verwundert hätte). Freilich aber kann jede noch so perfekt hergestellte CD kein Konzert ersetzen. Wer Salonens Werke live während der „Residency“ des Los Angeles Philharmonic im März dieses Jahres in der Kölner Philharmonie erlebt hat, weiß es. „Insomnia“, 2002 komponiert, rundet dieses wuchtige Kraftpaket von CD, die eine Begegnung lohnt, mit kantiger Klarheit ab. Ein Nachtstück der unangenehmen Art, kein Nocturne à la Chopin, sondern zwanghafte Visionen, die sich erst auflösen, wenn die Sonne strahlend aufgeht.

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Esa-Pekka Salonen
Foreign Bodies (2001)
Wing on Wing (2004)
Insomnia (2002)

Anu und Piia Komsi (Sopran)
Finnish Radio Symphony Orchestra
Ltg. Esa-Pekka Salonen

Deutsche Grammophon CD 00289 447 5375




Weitere Informationen
http://www.deutschegrammophon.com






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