Ungewöhnlice Töne von Liebeslust und -leid

In Liebesdingen haben musikalisch seit dem 19. Jahrhundert die Tenöre das Sagen bzw. Singen. Das war nicht immer so; im Zeitalter der Kastraten brauchte es nicht unbedingt schmachtender Männlichkeit, um Herzschmerz in Töne zu fassen. Der Altus Axel Köhler hat sich auf zwei CD-Einspielungen den unterschiedlichsten Facetten des Themas Liebe zwischen Barock und Romantik angenommen.

Die Kunst des Küssens (nach dem Titel eines Liedes von Andreas Hammerschmidt, 1611 – 1675) heißt eine Sammlung von mehrheitlich heiteren Liedern aus Barock, Rokoko und Klassik, die den Bogen von Hammerschmidt und Gabriel Voigtländer (1596 – 1643) über Carl Heinrich Graun (1704 – 1759) und Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788) bis hin zu Haydn, Mozart und Beethoven schlägt und, im Wesentlichen chronologisch angeordnet, die Entwicklung des Genres mit einer Auswahl von insgesamt 26 Liedern, nachzeichnet. Eingeschobene Instrumentalstücke für Harfe (Sätze einer Sonate von Antonio Rosetti und ein Duo von Fernando Carulli) strukturieren die Sammlung, indem sie Kompositionen aus den verschiedenen Epochen voneinander absetzen. Köhler mit seiner beweglichen, stets souverän geführten Stimme gestaltet die Lieder mit kluger Textausgestaltung zu kleinen Szenen aus und verhindert dadurch, dass die Auswahl ins allzu Niedliche abgleitet Die wechselnde Begleitung (Harfe, Chitarrone, Gitarre, Arciliuto, Cembalo, Hammerflügel) verleiht dieser exzellenten Einspielung zusätzlichen Reiz.

Die zweite CD, der Beethovens Liederzyklus An die ferne Geliebte den Titel gibt, setzt Die Kunst des Küssens inhaltlich-chronologisch sinnvoll fort. Neben Beethoven sind hier Lieder von Haydn, Mozart (darunter das Veilchen), Mendelssohn und Schubert (Italienische Kanzonetten). Während bei der ersten CD die Gestaltung durch einen Altus als selbstverständlich erscheint, ist die Stimmlage zumindest bei den vom romantischen Gestus geprägten Liedern Beethovens und Mendelssohns gewöhnungsbedürftig. Auch wenn Köhlers Stimme an einigen (wenigen) Stellen als zu leicht erscheint, überzeugt auch hier die intelligente, an der Sprachmelodie orientierte uns äußerst nuancierte Ausgestaltung der Texte. Dabei versteht es Köhler, trotz kunstvoll gesetzter Pausen die Gesangslinie nie abreißen zu lassen und einen gelassenen, leicht distanziert erzählenden und oft leicht ironisch unterlegten Tonfall zu finden. Der intime Charakter der Interpretation wird noch verstärkt durch die Wahl der Harfe (statt des Hammerklaviers) als Begleitinstrument. Nora Koch spielt diesen Part höchst differenziert und kann ihrem Instrument viele Klangfarben abgewinnen, zudem ist das Zusammenspiel mit dem Sänger traumwandlerisch sicher.

Eine kleine Entdeckung sind die Italienischen Kanzonetten von Franz Schubert, die sich am Ton der italienischen Oper Rossinis orientieren, aber neben der geschmeidigen Gesangslinie vor allem in der Harmonik eigenständigen Charakter gewinnen (leider sind im Booklet nur die originalen Texte von Vittorelli und Metastasio ohne deutsche Übersetzung abgedruckt). Diese mit großer Eleganz vorgetragenen Stücke krönen eine in jedem Detail mit höchster Sorgfalt gestaltete Aufnahme.