Ein Menetekel wie einst Nebukadnezar hätten
einige der völlig außer Kontrolle geratenen Fanatiker im Nahen Osten
dringend nötig. Den haßerfüllten Irrsinn wird Musik nicht aufhalten
können, doch versuchen engagierte Musiker wie Michel Sajrawy zumindest
einen möglichen begehbaren Weg der Verständigung zu weisen. Nach dem
betörend orientalischen Ausflug in die musikalisch grenzenlosen
Märchenwelten des Orients "Yathrib"
kommt jetzt sein zweites Album bei Ozella Music heraus, das er beinahe
prophetisch "Writings On The Wall" genannt hat. Nur ist seine
Flammenschrift im Gegensatz zum alttestamentarischen Vorbild
versöhnlich.
Viel jazziger als der Vorgänger ist
"Writings On The Wall". Die Trio- Besetzung hat Sajrawy mit Valeri
Lipets am Kontrabaß und Ameen Atrash am Schlagzeug beibehalten, einen
alternierenden Schlagzeuger (Evgeni Maistrovski) dazu genommen und den
virtuosen französischen Pianisten Franck Dhersin als perfektes alter
ego am Klavier. Ein Hauch Orient schwebt noch über dem Opener "Bride Of
The Galilee" und dem folgenden Titelstück, doch dann wendet sich das
Album gradlinig einem weltoffenen, bezwingend stringenten und lyrischen
okzidentalen Jazz zu. Die anfängliche Dramatik von "Writings On The
Wall" weicht bald nach
dem Eröffnungsakkord nachdenklichen Klängen im Dialog von Gitarre und
Klavier, während Valeri Lipets´ Kontrabaß fast aus dem Off den
orientalischen Boden bereitet und Ameen Atrash dazu die Akzente setzt.
Die folgenden Titel stehen in bester Tradition von Hardboppern und
Epigonen aus der Schule Montgomery, Green, Burrell & Co.. Michel
Sajrawy beweist sich als brillanter Handwerker mit Gefühl für Farben,
Stimmungen und wunderbare Schleifen. Allerfeinsten Jazz mit
viel Drive bekommen wir in "Ya Salam", das vom Titel her arabisch
klingt, in der Performance aber Modern Jazz der Spitzenklasse mit
delikaten Soli aller vier Instrumente bietet. Evgeni Maistrovski
unterstreicht am Schlagzeug die Berechtigung, in das hervorragende
Ensemble aufgenommen worden zu sein. Mit "Earth, Wind And Fire" kehren
wir noch einmal zurück in die Welt orientalischer Geschichtenerzähler.
Das hat aber rein nichts mit der Soul-Band gleichen Namens der
70er/80er Jahre zu tun. Die hat Sajrawy wohl gar nicht gekannt, sondern
nur die Elemente gemeint, die er mit dem Stück in Töne kleidet. Das
wirkt nach den klassisch ausgeformten Titeln des Mittelteils angehoben
und nicht ganz von dieser Erde. "Green" legt per Fusion wieder eine
Leitung "zurück zur Erde", wo das Album mit "The Arch And The Branch", einem interpretationswürdigen Titel in der Nähe des von Pat Metheny in den Jazz eingebrachten Stils geheimnisvoll schließt.
Die babylonische Flammenschrift "Mene mene tekel u-pharsin" (gewogen und zu leicht befunden) trifft auf dies ausgewognene Album ganz gewiß nicht zu. Als Mahnung zur Verständigung zwischen Kulturen und Glaubensrichtungen darf es hingegen gelten und sollte zitiert werden.